Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Fünf Monate später stand Harun auf derselben Brücke. Sein Bruder war gestorben und hatte ihm die Alleinherrschaft über das große Reich hinterlassen müssen. Umjauchzt von dem frohlockenden Volke ritt er triumphreich in seinen Palast. Auf der Brücke fiel ihm die Wendung des Glückes in den Sinn. Er nahm jetzt seinen bleiernen Ring, den er bisher als Zeichen seines Unglücks getragen, vom Finger und warf das letzte Zeichen seines Elends in die Fluth.
„Auf nun, Taucher!“ rief er, „hinab! Zehn Beutel Goldes für den, der mir den Ring kann wieder zeigen!“
Große Massen von Schwimmern und Tauchern sprangen hinab in die Fluthen und verschwanden. Der Erste, der wieder auftauchte schwang freudig einen Ring in der Hand. Es war der Juwelenring des Vaters. Den bleiernen fand Niemand wieder.“
„Danke für diese schöne Version des griechischen Polykrates-Ringes!“ rief ich. „Es ist eine sinnige Verbesserung der Sage. Doch warum so lange bei alten Geschichten weilen? Warum bekümmert sich euer Volk überhaupt nicht gern um die Gegenwart und liest keine Zeitungen?“
„Ich kann diese eure Zeitungspapiere nicht lesen, Herr!“ rief er mit Entrüstung, „sie ekeln mich an. Ich verstehe sehr wohl die Worte der französischen und englischen Zeitungen, aber ich finde nicht den Werth und Sinn darin, den Ihr Franken darin sucht. Ich bin bekannt geworden mit vielen jener Männer, welche eifrig Profession daraus machen, die öffentliche Meinung zu fabriciren, just wie der Weber sein Zeug zusammenwirkt. Ich kam öfter mit ihnen in londoner und pariser Gesellschaften zusammen und sah, daß sich Niemand viel um das bekümmerte, was sie sagten, weil sie als Personen bekannt waren, die nicht viel zu sagen und keinen besondern Werth haben. Sobald nun aber dieselben Personen unbekannt werden und als Unbekannte, ihrem Namen und ihrer Person noch nicht zu Entdeckende ihre Worte und Meinungen in großen Papieren drucken lassen, werden sie als Meinung der Nation, als öffentliche Meinung geachtet und gewinnen Einfluß auf Eure Gesetzgeber und Minister, welche nicht die geringste Notiz von dem unbekannten Schreiber selbst nehmen. Ich bin in Ava, der großen Stadt des birmanischen Reiches, gewesen und habe gesehen, wie das Volk vor dem Priester niederkniet, wenn er seinen großen, gelben Mantel trägt; wenn er ihn aber wusch und auf eine Stange zum Trocknen hing, gingen sie ohne das geringste Zeichen von Ehrfurcht vor ihm vorbei. Sie werfen sich blos vor dem gelben Kleide nieder. Ihr Franken nennt die Birmanier Barbaren, aber seid Ihr besser? Sind diese Engländer hier nicht viel schlimmer, welche sich, wie es der Punch neulich abbildete, vor einem mit einem Staatsmantel angethanen und an einen Stammbaum gelehnten Perrückenholzkopf niederwerfen, obgleich sie die Freiheit haben, auf ihren eigenen Füßen stehen zu bleiben und auf ihren Kopf zu bestehen?“
Ich mußte Beifall lächeln, so unangenehm mir auch seine einleuchtende Wahrheit die Augen drückte.
„Sie haben in mancher Beziehung Recht,“ erwiederte ich, „aber gegen die Zeitungen sind Sie zu streng. Sie verstehen die Institutionen des Westens noch nicht zu würdigen, von denen die Presse eine der wichtigsten und segensreichsten ist. Haben wir nicht Ge- und Verbrechen zu rügen und große Männer öffentlich anzuerkennen?“
„Große Männer?“ fragte Hyder Ali mit einem ungemein großen „Paff“ aus dem Chibuck, indem die beiden großen Augen mit ungemein viel Weiß aus der Dunkelheit unter dem rothen Fez strahlten. „Wenn Ihr wirklich große Männer habt, um so schlimmer für Euch. In den Zeitungen find’ ich keine. Die Presse läßt sie in England nicht aufkommen, in Frankreich giebt es gar keine Presse. Ihr liebt und begreift die großen Männer nicht. Ein Franke in meinem Lande hatte einen gefährlichen Weg vor sich voller Felsen und Gruben und Deiche. Sein arabischer Führer brachte ihm ein Kameel und einen Esel, um auf einem von beiden den Weg zu reiten. Der Franke sah sich das Kameel an, wie es mit hochgerichtetem Kopfe gerade aus in die weite Ferne sah, ohne auf seine Füße zu sehen, und hielt es deshalb für unsicher. Der Esel dagegen, der seinen Kopf zur Erde bog und gewissenhaft seine Füße besah und den Weg dicht vor sich, gefiel ihm. Er genoß sofort das Vertrauen des Franken. Er bestieg den Esel, der Araber das Kameel. Der arme, gewissenhafte Esel stolperte über jeden Stein auf dem Wege und fiel in den ersten Deich mit seinem Reiter, während das Kameel mit hochgerichtetem, weithinsehendem Haupte stolz dahinschritt über Steine und Gruben.“
„Wie kommt es,“ rief der abgesetzte Reiter des Esels, „daß der Esel mit aller seiner Gewissenhaftigkeit und Aufmerksamkeit auf jede nahe Gefahr stolpert und fällt, während das Kameel, ohne einmal auf den Weg unter sich zu sehen, die Gefahren vermeidet oder überschreitet?“
„Der Esel,“ erwiederte der Araber, „hält seinen Kopf so nahe zur Erde und betrachtet nur das Nahe und Einzelne (wie Eure Staatsmänner und Eure Zeitungen – fügte Hyder Ali halblaut hinzu) und sieht die Gefahr erst, wenn sie so nahe ist, daß er sie nicht mehr vermeiden kann; das Kameel sieht den Feind schon in der Ferne und seine Füße gehorchen dem Haupte.“
Hyder Ali hatt seine Pfeife auf delicate, künstlerische, sparsame Weise ausgeraucht. Er erhob sich gravitätisch und sprach:
„Möge Ihre Nacht glücklich sein, Herr!“ und so ging er, ohne sich noch einmal umzukehren, obgleich ich ihn mit dem schnell angezündeten Lichte bis an die Thür begleitete, als wollt’ er mein Nachdenken über seine Parabel mit keiner Silbe mehr stören. Indem ich darüber nachdachte, schrieb ich sie nieder, aber für keine Zeitung, sondern für ein gemüthliches Blatt, das sich nicht, wie der Essel, mit blos naheliegenden, für den Tag geltenden und flatternden Fliegen und Gefahren beschäftigt, sondern ein Verdienst darin sucht, die Leser durch ewige Wahrheiten in der Natur und im Menschenleben zu beruhigen, zu erheitern und so über die Steine des Anstoßes hinweg tragen zu helfen.
Dieses Gespräch mit dem Türken ward nicht als interessant und wichtig in sich mitgetheilt, sondern als ein Hülfslicht für die Betrachtung eines Volkes und einer Kultur, woran wir alle Antheil nehmen, da die Geschichte offenbar die Absicht hegt, eine bedeutende Aenderung damit und unmittelbar auch mit uns vorzunehmen.
Dem Andenken zweier deutschen Eroberer.
„Während der Löwe noch als König der Wüsten Afrika’s durch die Nacht brüllt, und am Tage die schwarzen und braunen Stämme von Menschen sich gegenseitig berauben, bestehlen, verkaufen und morden, haben ein halbes Hundert von Europäern die ersten Kulturstraßen durch die Wüste und von allen Seiten nach dem Innern geschlagen. Bald wird die Bibel und der Baumwollen-Ballen, der Missionär und der Palmöl-Reisende[1] folgen, und das von der Seele der Segel oder dem Dämon des Dampfes beschwingte Schiff Alles bieten, was den neu- und wißbegierigen Civilisationstrieb dieser bisher von der Kultur ausgeschlossenen Stämme befriedigen, ihr Leben veredeln und ihre Menschenwürde ausbilden mag. Wissenschaft und Geschichte werden sich diese zum ersten Male gezeichneteten[2] Fußstapfen der ersten central-afrikanischen Apostel merken. Und kräftige Jahrzehende mögen dankbar und in gebührender Andacht vor den einsamen Gräbern bei Maduari und Ungurutua stehen bleiben, in welche die ersten Opfer der heldenmüthigen Aufgabe, das Innere Afrika’s für den neuen, frischen Blutumlauf einer rund um die Erde fließenden Menschheits-Kultur zu erobern – ein Engländer und ein Deutscher – Vertreter dieser Grenzen verachtenden Kultur – versenkt wurden.“[3]
- ↑ Vergleiche: „russischer Krieg – afrikanisches Friedensöl“ in Gartenlaube Nr. 30 von 1854.
- ↑ Das große, wissenschaftliche, auch in technischer Beziehung brillante Werk von A. Petermann, im Auftrage der englischen Regierung nach den Forschungen und Berichten Barth’s, Overweg’s, Richardson’s und Vogel’s in chromolithographischen Karten und einer historischen Darstellung ausgeführt, ein in Deutschland wohl schwer zugängliches Werk, doch bei Justus Perthes in Gotha, dessen berühmte geographische Anstalt Herr A. Petermann jetzt technisch leitet, noch in einigen Exemplaren vorräthig.
- ↑ „Magazin für die Litteratur des Auslandes“ Nr. 48 und 49 von 1854.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_185.jpg&oldid=- (Version vom 3.4.2023)