verschiedene: Die Gartenlaube (1854) | |
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liederliche Menschen, Vagabunden, Phantasten und ähnliche Vögel hervorbringen.
Aeußerlich soll der Sanguiniker zu erkennen sein an einer feinen Haut, die leicht erröthet und erbleicht, an großen, gewölbten, hasenähnlich vorspringenden Augen und einer lebhaften Mimik beim Sprechen. Bei Kindern verräth sich dieses Temperament leicht an der äußern Beweglichkeit, besonders an dem schnellen Wechsel der Empfindungen (Zürnen und Lachen), und an einer besonders regen Phantasie. Wie sanguinische Kinder zu behandeln seien, was zu wahren und auszubilden, wovor man sie zu behüten habe, gehört in ein späteres Kapitel.
Ein Neger-Denkmal. Einer uns gütigst mitgetheilten Zeitung
von Rio-Janeiro entlehnen wir die Nachricht von der allgemeinen Begeisterung
und Theilnahme, welche dort die aufopfernde Handlungsweise eines
Negers, Namens Simon, bei dem Schiffbruch eines Küstendampfers, des
„Pernambucano“, erregt hat. Dieses Dampfboot, von zweihundert Pferden
Kraft, befand sich nämlich mit hundertundzwanzig Passagieren auf der Fahrt
von Rio Grande do Sul nach Rio-Janeiro und gerieth bei einem heftigen
Sturme auf ein Riff, an welchem es scheiterte. Vergebens war das Angstgeschrei
der zahlreichen Frauen und Kinder, die sich auf dem geborstenen
Schiff befanden. Dasselbe lag nicht weit von der Küste, aber in dem furchtbaren
Sturme wagten es weder Schiffer noch Fischer, sich dem untergehenden
Fahrzeuge zu nähern. Da warf Simon, der auch auf demselben war,
ein langes Seil durch die Brandung nach dem etwa zweihundert Schritt
entfernten Strande, wo das eine Ende befestigt wurde, während er das
andere Ende des Seiles auf dem Schiffe selbst befestigte. Und nun belud
er sich mit denen, die sich ihm zuerst anvertrauten, und brachte sie glücklich
über das Seil an den Strand, Er kehrte stets zurück und belud sich von
Neuem mit Menschen, die er zum Erstaunen der Küstenbewohner, von denen
Keiner ihm nachzuahmen wagte, immer glücklich wieder absetzte. Er
hatte bereits einige Mal die Passage hin und zurück gemacht, als das Seil
in der Mitte durchriß und nunmehr seine Rückkehr nach dem Schiffe, das
inzwischen in zwei Theile zerschellt war, unmöglich schien. Aber er ergriff
die am Strande befestigt gewesene Hälfte des einzigen, ihm zur Verfügung
stehenden Seiles, schwamm mit demselben gegen die Brandung an das Wrack
und brachte den Verzweifelnden von Neuem Rettung, indem er hier die beiden
Theile mit einander verband und das Ganze abermals nach der Küste warf.
Noch dreizehn Mal machte er nun auf diese Weise den Weg an das Land,
jedesmal mit einem oder mehreren Menschen beladen, die immer an seinen
Körper angebunden wurden. Es befanden sich darunter eine Mutter mit
sieben Kindern, ein Blinder und ein Invalide mit einem Stelzfuße. Die
Anstrengung war so groß, daß er, nachdem er fünf Mal den Weg zurückgelegt
an allen Sehnen zuckte. Man bedeutete ihm, daß er es nun nicht
mehr würde durchsetzen können, aber er suchte sich dadurch zu stärken, daß
er sich in den am Ufer liegenden Sand warf und seinen Körper, so wie
seine Arme und Beine, dann wälzte. Diese Operation wiederholte er
von Zeit zu Zeit, und dadurch will er sich, wie er behauptet, stets gehörig
gestählt haben zu neuen übermenschlichen Anstrengungen. Auf diese Weise
ist es ihm gelungen, einem großen Theile der Passagiere, die einem unvermeidlichen
Tode entgegensahen, das Leben zu retten. Von denen, die
sich durch eigene Anstrengung retten wollten oder die von dem menschenfreundlichen
Neger nicht zu erreichen waren, sind dreißig Personen in den
Wellen untergegangen.
Schmachvoll für die weiße Strandbevölkerung ist, daß sie nicht allein zur Rettung von Menschenleben gar nichts that, sondern obendrein an den Geretteten das Strandrecht ausübte und sie, wo sie etwa einzeln angetroffen wurden, völlig ausplünderte. In der Hauptstadt von Santa Katharina, welches der dem Schauplatze dieses Ereignisses zunächst gelegene Ort ist, begnügte man sich, Seelenmessen für die Ertrunkenen zu lesen, während durchaus nichts zur Bergung des mit dem Dampfer untergegangenen, bedeutenden Staats- und Privateigenthums angeordnet wurde. Der Neger Simon hat inzwischen in Rio-Janeiro eine glänzende Genugthuung erhalten. Der Kaiser und die Kaiserin haben ihm persönlich gedankt und ihm eine schwere goldene Ehren-Denkmünze verliehen. Es ward in Rio eine Subscription eröffnet, und in wenigen Stunden war eine Summe von sechstausend Thalern für den edelmüthigen Simon unterzeichnet. Eine Ehre, die noch niemals einem Schwarzen zu Theil geworden, ist ihm zugedacht: die Kaufmannschaft von Rio hat nämlich beschlossen, eine Büste Simon’s anfertigen zu lassen und dieselbe im Börsengebäude, als Denkmal seiner That, aufstellen zu lassen. Die Yankees in den freien Staaten Amerika’s, die einen Schwarzen weder an ihre Börsen, noch an ihre Theater zulassen, könnten an diesem Vorgange der angeblich so unbarmherzigen Brasilianer ein Beispiel nehmen.
Simon ist in Afrika geboren und jetzt vierzig Jahre alt.
Ludwig Storch’s Gedichte finden täglich mehr Anerkennung. Die
geachtetsten Organe der Oeffentlichkeit, wie Nationalzeitung, Frankfurter
Journal, Modezeitung, Jahreszeiten, Illustrirte Zeitung etc. etc. sprachen
sich mit großem Lobe darüber aus. Neuester Zeit hat auch Prutz – ein
sonst sehr strenger Kritiker – in seinem „Deutschen Museum“ ein Urtheil
darüber abgegeben. „Das Bedeutendste von allen, sagt er (er bespricht mehrere
Gedichtsammlungen) ist das Buch eines Dichters, der sich bis dahin nur
als fruchtbarer Romanschreiber gezeigt hat, während sein lyrisches Talent
dem großen Publikum so gut wie unbekannt geblieben ist. Und doch weisen
die eben erschienenen Gedichte von L. Storch dem Verfasser auch als
Lyriker einen nicht unerheblichen Rang an. Ja, wir möchten behaupten,
daß dieses Bändchen Gedichte das Beste ist, was er überhaupt geliefert
hat, und daher auch seinen Namen am sichersten auf die Nachwelt bringen
wird. Mit freudiger Ueberraschung finden wir hier alle Eigenschaften höherer
Bildung und ernstern Kunststrebens, die der Romanschreiber Storch,
der Industrie des Marktes verfallen, uns wohl dann und wann vermissen
ließ. Am schwächsten sind die Liebeslieder, dagegen enthalten die Lieder
und gemischten Lieder viel Vortreffliches. Ob der einfache Klang derselben
freilich dem jetzigen Zeitgeschmack zusagen wird, wagen wir nicht zu entscheiden!
Aber daß es wenigstens ein Klang ist voll Wahrheit und
Wohllaut und poetischer Innigkeit, das können wir mit gutem
Gewissen versichern. Möge denn das Publikum, dem der Romanschreiber
Storch so manchen langen Abend so angenehm verkürzt hat,
sich dem Lyriker Storch dafür dankbar erweisen. Der Lebensabend
des Dichters ist, wie wir hören, vereinsamt und trüb, wie es deutschen Dichtern
zu begegnen pflegt; möge denn wenigstens die freundliche Aufnahme, die
diesem Büchlein, gleichsam seinem poetischen Testamente, wiederfährt,
einen erheiternden Strahl in seine Einsamkeit werfen.“ –
Die unterirdische vorsündfluthliche Riesenstadt auf der Insel Martinique, von welcher Dieser und Jener wohl etwas gehört haben
mag, wird von dem Engländer N. P. Willis in seinem Reisewerke: „Ein
Gesundheits-Ausflug nach den Tropen“ („A Health-Trip to the Tropics““)
so geschildert: „Daß diese Riesenhöhle ein Denkmal der Civilisation vor
der biblischen Sündfluth sein müsse – eine Stadt von wirklichen Riesen
bewohnt, welche plötzlich ein Erdbeben verschlang und die gegen die Gewalt
der Fluth von einem ungeheuern Gebirgsdache, das der Zufall über
sie warf, bis heute beschützt blieb, dazu wird sich die kühnste Phantasie
nicht leicht verstehen, aber es ist doch so. Alles hat bestimmte architektonische
Formen innerhalb. Es ist nicht eine unförmliche unterirdische Höhle,
roh und schmutzig, sondern eine Folge ungeheuerer Hallen, Dome, Gänge
und Plätze, Bogen und Straßen – alle unterhalb, unter furchtbaren Felsenmassen,
aber alle zeugend von dem Plane und den Proportionen einer
vorsündfluthlichen Riesenstadt. Es ist keine Höhle, es ist eine Stadt in
Ruinen, eine Stadt, von welcher Leben, Sonne, Mond und Sterne weggenommen
wurden, deren jüngster Tag gekommen und längst vergangen,
und über welcher eine neue Welt erstand und alt ward. Durch welche
merkwürdige Gesetze diese riesige, geheimnißvolle Architektur, diese majestätischen
Dächer und Decken seit Jahrtausenden gehalten worden, ist noch
bisher jedes Reisenden Wunder und Räthsel geblieben. Kein neuerer Baumeister
könnte solche ungeheuere Bogen ziehen und stützen. Und Alles
harmonirt so mit einander! Es ist Stil, Aesthetik, eine bestimmte Schule
darin. Diese Säulen und Bogen, diese Galerien und Chöre haben so genaue
Proportionen und werden so geheimnißvoll getragen. Straße auf
Straße, Meile auf Meile (englische) dehnt sich aus und scheint zuweilen
mitten im Baue vom jüngsten Gericht überrascht worden zu sein. Hier
und da ist es, als baute man noch auf Ruinen von Hausgeräthen, die in
uralter Verwesung noch nicht alle ihre Gestalt verloren haben. Man kann
das Ganze ein Riesen-Herculanum und Pompeji nennen, zuerst von überstürzenden
Gebirgen begraben und dann erstickt von der hereinstürzenden Fluth.
Welcher Stoff für die Dichter des neuen Westens. Ihr Parnaß ist
bereits ein Haus, großartig und reich meublirt. Es fehlen nur noch die Dichter
hinein.“
Die Statuen der amerikanischen Weltausstellung. Das Ausstellungs-Comité
von New-York hat sich nicht damit begnügt, den im dortigen
Krystall-Palast aufgestellten Statuen Feigenblätter, zuerst von Metall
und dann von Steinpappe, vorzuhängen, sondern ist in neuester Zeit noch
einen Schritt weiter gegangen. Die „New-Yorker Staatszeitung“ sagt
darüber Nachstehendes: „Eine andere ebenso lächerliche Anmaßung besteht
darin, daß man die ganze Rückseite der Statuen mit grünen Schirmen bedeckte,
so daß es nicht mehr möglich ist, die Kunstwerke (von welchen namentlich
aus Italien einige meisterhafte Arbeiten hierher gekommen) in
ihrer Vollständigkeit zu betrachten und in allen ihren Theilen zu prüfen.
Damit erklärt man mehr als die Hälfte des menschlichen Körpers, mehr
als die Hälfte des göttlichen Ebenbildes und Meisterstückes der Schöpfung
für unsittlich und unschön oder der Betrachtung unwürdig und der Weltgeist
hätte fast nöthig, sich bei dem leitenden Comité deshalb zu entschuldigen,
daß er dem Menschen auch eine Avers-Seite gegeben.“
Schleiermachiana. Wie sehr Schleiermacher, jener scharfe Dialectiker,
den Witz in seiner Gewalt hatte, mögen folgende beiden Anecdoten,
die trotz ihrer Wahrheit und Trefflichkeit wenig bekannt sein dürften,
beweisen. Ein Freund erzählte Schleiermacher, daß der Kirchenrath S.
in Berlin, welcher bereits den preußischen Adlerorden habe, nun auch den
russischen empfangen habe. „Das wundert mich gar nicht,“ erwiederte
Schleiermacher ruhig, „denn wo das Aas ist, versammeln sich die Adler!“
– Einst saß er auf einem Balle, mit einem Freunde sich unterhaltend,
auf einem Sopha im Nebenzimmer. Eine ihm bekannte junge Dame,
welche sehr viel getanzt hatte, trat in das Zimmer und warf sich ganz erschöpft
und in einer sehr freien Stellung auf das Sopha und rief: „Ach
Gott, ich bin wie gekocht!“ – „und doch noch so roh, fügte Schleiermacher
ruhig hinzu. – Schleiermacher predigte eine Zeit lang sonntäglich
in dem Frühgottesdienste, und hatte immer zahlreiche Zuhörer. Er selbst
sagte einst darüber, er habe dreierlei Zuhörer: Studenten, junge Mädchen
und Soldaten. Die Studenten kämen seinetwegen, um die Predigt zu
hören, die jungen Mädchen der Studenten wegen und die Soldaten der
jungen Mädchen wegen. –
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_078.jpg&oldid=- (Version vom 20.4.2020)