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Seite:Die Eroberung des Brotes.pdf/149

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was man unkorrekter Weise Tauschwert genannt hat, geben und ebensowenig für den Gebrauchswert.

Wenn wir zwei Individuen Jahre hindurch täglich fünf Stunden für das Allgemeinwohl arbeiten sehen, und zwar in verschiedenen Tätigkeitszweigen, die ihnen gleichmäßig zusagen, so können wir vielleicht sagen, daß, im ganzen genommen, ihre Arbeitsprodukte gleichwertig sind. Doch man kann nicht ihre Arbeit in Stücke zerlegen und sagen, daß das Produkt des einen an jedem Tage, in jeder Stunde, in jeder Minute, gleich dem Produkt des andern innerhalb dieser Zeiten ist.

Man kann wohl sagen, daß der Mensch, welcher während seines ganzen Lebens zehn Stunden täglich gearbeitet hat, der Gesellschaft wohl mehr geleistet hat, als jener, welcher nur fünf Stunden oder überhaupt nicht gearbeitet hat. Doch man kann nicht das nehmen, was er in zwei Stunden produziert hat, und davon sagen, daß es zweimal soviel wert ist als das Produkt einer Arbeitsstunde eines anderen Individuums und es dementsprechend entlohnen. Dies hieße den ganzen innigen Zusammenhang, der zwischen der Industrie, der Landwirtschaft, dem gesamten Leben der modernen Gesellschaft besteht, verkennen, es hieße ignorieren, in einem wie weiten Maße jede Arbeit des Individuums das Resultat früherer und gegenwärtiger Arbeiten der gesamten Gesellschaft ist. Es hieße, sich in der Steinzeit glauben, während wir im Zeitalter des Stahls leben.

Tretet in ein Kohlenbergwerk ein und betrachtet Euch jenen Mann, der bei der gewaltigen Maschine postiert ist, die den Fahrstuhl hinauf- und hinabsteigen läßt. Er hält in der Hand den Hebel, welcher den Gang der Maschine hemmt und wechselt, er senkt ihn und der Fahrstuhl steigt pfeilschnell empor, er hebt ihn und er verschwindet in fabelhafter Schnelligkeit in der Tiefe. Ganz Aufmerksamkeit, verfolgt er mit den Augen einen Zeiger, der ihm auf einer Skala die Stelle des Schachtes bezeichnet, an welchem sich der Fahrstuhl in jedem Augenblicke seines Ganges befindet; und wenn der Zeiger eine bestimmte Stelle erreicht hat, so hemmt er plötzlich den Hebel und der Fahrstuhl hält an dem gewollten Punkte, nicht einen Meter höher oder niedriger. Und kaum hat man die mit Kohlen beladenen Wägelchen in ihm entleert, so schnellt er den Hebel zurück, und der Fahrstuhl steigt von neuem an das Tageslicht empor.

Während 8 und 10 Stunden hintereinander hält er seine Aufmerksamkeit derartig gespannt. Wenn sein Gehirn einen Augenblick erschlafft, so stößt der Fahrstuhl auf, zerbricht die Räder, zerreißt das Kabel, erschlägt Menschen und gebietet der gesamten Arbeit in der Mine Stillstand. Verpaßt er zwei oder drei Sekunden bei jedem Hebelschlag, so bedeutet dies in den modernen vervollkommneten Bergwerken eine tägliche Herabsetzung der Förderung um 20–50 Tonnen.

Ist er es, welcher in der Mine den wichtigsten Dienst versieht? Ist es vielleicht der Knabe, welcher ihm durch eine Glocke das Signal zum Hinaufsteigen des Fahrstuhls gibt? Ist es der Bergmann, der jeden Augenblick in der Tiefe des Schachtes sein Leben aufs Spiel setzt und eines Tages durch ein schlagendes Wetter getötet werden wird? Oder

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/149&oldid=- (Version vom 27.8.2018)