Anonym: Edda | |
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Älter als das vorhergehende Lied, mit dem es den Gegenstand gemein hat, scheint Atlamal eigentlich nur, weil es für die weitere Entwickelung der deutschen Sage weniger Zeugnisse enthält. Denn obgleich die Giukungen auch hier schon Niflungen heißen und sogar ein Sohn Högnis mit dem Namen Niflung eingeführt wird, so stimmt doch das Geographische noch mit den frühern Liedern: Sigurd heißt hunisch (Str. 98), nicht Atlis Land, das von den Giukungen durch das Meer getrennt ist. In Oddruns Klage schien es sogar am Meer zu liegen, und im zweiten Gudrunenliede bedarf es nach Str. 33 um dahin zu gelangen einer siebentägigen Seefahrt, während die Giukungen Str. 18 Säumer satteln und Hengste tummeln, da sie ihre Schwester bei Thoras Tochter besuchen. Ferner scheint Atli seine Schwäger nicht allein des Hortes wegen geladen zu haben, da er Str. 52 sagt, ihn härme der Schwester Tod am Schwersten. Doch dieser Versicherung ist nicht zuviel zu trauen, da er die Giukungen in derselben Strophe beschuldigt, ihn um das Gut betrogen zu haben und Gudrun oder Högni, dem die Wölsungas. die nächste Strophe zutheilt, ihm vorwirft, er habe ihre Mutter um Schätze ermordet und in der Höhle verhungern laßen, was bekanntlich mit der Swenischen Chronik stimmt, Grimm 305. Wenn bei der nun folgenden grausamen Hinrichtung Högnis und Gunnars Gefangennehmung des Horts nicht gedacht wird, so beweist das nichts gegen Atlis Goldgier, denn der Dichter konnte aus der Sage als bekannt voraussetzen, daß sich Gunnar geweigert hatte den Hort anzuzeigen so lange Högni lebe. Die verschiedene Behandlung der Brüder hätte keinen Sinn, wenn nicht Gunnar durch den Anblick von Högnis Herzen bestimmt werden sollte, sich Leben und Freiheit zu erkaufen, indem er Atlis Verlangen willfahrte. Endlich wird Atli zwar wie in den Nibelungen und in der Wilkinas. als feige geschildert Str. 99; aber das kann schon der ältern Sage angehören. Auch daß nach Str. 35 das Fahrzeug absichtlich unbefestigt bleibt, damit die Heimkehr unmöglich werde, ist ein alter in den Nibelungen ähnlich wiederkehrender Zug, der hier nicht befremdet. Wenn aber der Inhalt des Liedes es älter erscheinen läßt als das vorhergehende, so scheint es der Form nach jünger, denn die Kennzeichen späterer Abfaßung, die wir bei der allgemeinen Betrachtung der Atlilieder als Abweichungen von dem schlichten Geist der alten volksmäßigen Gedichte bezeichnet haben, finden sich vornämlich in diesem und die Übertreibung, daß bei Gunnars Harfenspiel die Balken reißen Str. 62, ist eine der stärksten. Als eine Überarbeitung des vorigen
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 453. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/461&oldid=- (Version vom 31.7.2018)