Anonym: Edda | |
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Loddfafnismal überliefert. Unser Lied ist also Str. 112 auch schon angekündigt, wie Str. 162 auf den beiden gemeinschaftlichen Eingang zurück verweist. Als Erfinder der Runen, von deren zauberischem oder doch prophetischem Gebrauch hier allein die Rede ist, wie der Nordländer denn kaum noch einen andern Nutzen der Schriftzeichen kannte, wird in unserm Liede Odhin geschildert. Seine Beschäftigung mit der Zauberei, die im Norden im höchsten Ansehen stand, kennen wir schon aus dem Harbardsliede, sowie den Vorwurf, den ihm Loki Ögisdr. 24 daraus macht. Aber es ist der alten sinnlichen Vorstellungen gemäß, daß selbst der Gott der Weisheit und höchsten Macht seine Wunder zu verrichten äußerer Mittel bedürfe: so schickt Odhin seine Raben aus, die ihm Alles ins Ohr flistern, was sich in der Welt begiebt, so späht er von Hlidskialf hernieder, so trinkt er aus Mimirs Brunnen, so besendet er Idun, so weckt er die Wala, Baldurs Geschicke zu erkunden. Wenn Gr. Myth. 983 sagt, erst den gesunkenen, verachteten Göttern habe man Zauberei zugeschrieben, und sich dabei auf Snorri und Saxo Grammaticus bezieht, so lebten diese in einer Zeit, wo die Zauberkunst selbst gesunken und durch christliche Priester als teuflisch verschrieen war. Aber was dieser Zeit als teuflisch erschien, war der heidnischen noch göttlich. Grimm selbst sagt gleich darauf: Unmittelbar aus den heiligsten Geschäften, Gottesdienst und Dichtkunst, muß zugleich aller Zauberei Ursprung geleitet werden. Opfern und Singen tritt über in die Vorstellung von Zaubern: Priester und Dichter, Vertraute der Götter und göttlicher Eingebung theilhaftig, grenzen an Weißager und Zauberer. Erinnern wir uns nur aus dem Eingange der Hymiskwida, daß die Götter selbst zum Zweck der Weißagung geritzte Runen-Stäbe schüttelten. Einer so hochgehaltenen Kunst wird nun hier der erhabenste Ursprung beigelegt. Aus Sigrdrifulied 9 kennen wir den geburtshülflichen Gebrauch der Runen: durch Zauberlieder, den hier beschriebenen Runenliedern gleich, half Oddrun Heidreks Tochter Borgny (Oddrunargratr 8) entbinden. Hier aber verhilft sich Odhin selbst durch Erfindung der Runen zur Geburt. Er ist als eine Frucht des Weltbaums gedacht, an dem er neun Nächte lang, neun Monate wie im Mutterleibe, hing. Auch von Mimameidr, womit nur die Weltesche gemeint sein kann, wird Fiölsw. 20 gesagt, daß Niemand wiße, welcher Wurzel er entsproßen sei wie es hier Str. 139 von dem windigen Baume heißt, von dem sich Odhin durch Runen löste, daß er zur Erde fiel. Die Weltesche muß dieser Baum sein, darauf deutet auch der in der folgenden Str. erwähnte Trunk aus Odhrörir, durch den er zu gedeihen und zu wachsen begann, wenn nämlich auch hier wie Hrafnag.
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/389&oldid=- (Version vom 31.7.2018)