Anonym: Edda | |
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Rache, die Wali (Str. 16 vgl. Wöluspa 37) an Hödur nehmen soll, liegt hinter demselben, und Thöcks (l. Döcks) Weigerung, Baldurn zu beweinen, gehört in den Plan eines Gedichts, das alle an seinen Tod sich knüpfenden Begebenheiten zusammenfaßen will. Und gerade an dieser Frage mochte Odhin erkannt werden, denn keinem Andern war dieser Blick in die ferne Zukunft zuzutrauen. Allerdings kann man einwenden, wenn Odhin so vorwißend sei, so habe er die Wöla nicht zu befragen gebraucht. Allein mit verständigen Reflexionen dieser Art würde man alle Poesie zerstören. Wirklich hat man, von Odhins Weisheit ausgehend, diesen Einwand gegen unser ganzes Gedicht gerichtet. „So nichtsbedeutend,“ sagt Wiborg 264, „konnte doch wohl der Asenkönig nicht geworden sein, daß eine todte Hexe mehr als Er wuste.“ Wir wollen uns aber mit so kühler Prosa jedenfalls ein Gedicht nicht zerstören laßen, das an zweien Stellen (Str. 10. 12) ans Erhabene streift, wenn wir auch selbst an seiner Originalität einen bescheidenen Zweifel nicht bergen. Trifft nämlich unsere Deutung der letzten Frage zu, so ist unser Lied, wo nicht eine Nachahmung von Wafthrudnismal doch in seinem Grundgedanken fast zu nahe mit ihm verwandt. Dort wird zwar Odhin an der Frage nach einer Begebenheit erkannt, die schon weit in der Vergangenheit liegt, ihm aber allein bewust sein konnte, während ihn hier der Blick in die Zukunft verräth. Gemeinsam ist aber beiden Fragen die Beziehung auf Baldurs Tod und hierin erkennen wir eine Bestätigung unserer Vermuthung, die wir in den Text aufzunehmen nicht Bedenken getragen haben.
Zu Str. 16 vgl. Liebrecht G. G. A. 1865, 12., wonach hier von den Nornen die Rede wäre, die nach Willkür über die Geschicke verfügen mögen und die Enden ihrer Seile an den Himmel werfen. Auf Liebrechts Frage, was ich mir unter „himmelan werfen des Hauptes Schleier“ gedacht habe, antworte ich: eine Gebärde der Klageweiber. Egilsons Deutung der Worte halsa skautum als ausgestreckte Hälse, kommt meiner Auffaßung nahe. Für Liebrechts Deutung auf die Nornen spricht, daß nicht von Einem Weibe, sondern von mehrern die Rede ist; entgegen steht ihr aber, daß an einer Frage nach den Nornen Odhin nicht erkannt werden konnte, wohl aber, wenn er auf ein in der fernsten Zukunft liegendes Ereigniss wie Thöcks Weigerung um Baldur zu weinen, hingedeutet hätte.
Hawamal ist eigentlich nur ein Spruchgedicht, in das aber zwei mythologische Episoden eingeflochten sind; beide auf Odhin bezüglich, nach
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 377. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/385&oldid=- (Version vom 31.7.2018)