Anonym: Edda | |
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Unter der dritten Wurzel der Esche, die zum Himmel geht, ist ein Brunnen, der sehr heilig ist, Urds Brunnen genannt: da haben die Götter ihre Gerichtsstätte; jeden Tag reiten die Asen dahin über Bifröst, welche auch Asenbrücke heißt. Die Pferde der Asen haben diese Namen. Sleipnir, das beste, hat Odhin: es hat acht Füße; das andre ist Gladr; das dritte Gyllir, das vierte Gler, das fünfte Skeidbrimir, das sechste Silfrintopp, das siebente Sinir, das achte Gils, das neunte Falhofhir, das zehnte Gulltopp, das eilfte Lettfeti. Baldurs Pferd ward mit ihm verbrannt. Thôr geht zu Fuß zum Gericht und watet über folgende Flüße:
Körmt und Örmt und beide Kerlög
Watet Thôr täglich,
Wenn er hinfährt Gericht zu halten
Bei der Esche Yggdrasils.
Denn die Asenbrücke stünd all in Lohe,
Heilige Fluten flammten.
Da fragte Gangleri: Brennt denn Feuer auf Bifröst? Har antwortete: Das Rothe, das du im Regenbogen siehst, ist brennendes Feuer. Die Hrimthursen und Bergriesen würden den Himmel ersteigen, wenn ein Jeder über Bifröst gehen könnte, der da wollte. Viel schöne Plätze giebt es im Himmel, die alle unter dem Schutz der Götter stehen. So steht ein schönes Gebäude unter der Esche bei dem Brunnen: aus dem kommen die drei Mädchen, die Urd, Skuld und Werdandi heißen. Diese Mädchen, welche aller Menschen Lebenszeit bestimmen, nennen wir Nornen. Es giebt noch andere Nornen, nämlich solche, die sich bei jedes Kindes Geburt einfinden, ihm seine Lebensdauer anzusagen. Einige sind von Göttergeschlecht, andere von Alfengeschlecht, noch andere vom Geschlecht der Zwerge, wie hier gesagt wird:
Gar verschiednen Geschlechts scheinen mir die Nornen,
Und nicht Eines Ursprungs.
Einige sind Asen, andere Alfen,
Die dritten Töchter Dwalins.
Da sprach Gangleri: Wenn die Nornen über das Geschick der Menschen walten, so theilen sie ihnen schrecklich ungleich aus. Die Einen leben in Macht und Überfluß, die Andern haben wenig Glück noch Ruhm; die Einen leben lange, die Andern kurze Zeit. Har antwortete: Die guten Nornen und die von guter Herkunft sind, schaffen Glück, und gerathen einige Menschen in Unglück, so sind die bösen Nornen Schuld.
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/267&oldid=- (Version vom 31.7.2018)