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Seite:Die Edda (1876).djvu/054

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Anonym: Edda

69
Leben ist beßer,   auch Leben in Armut:

Der Lebende kommt noch zur Ruh.
Feuer sah ich des Reichen   Reichtümer freßen,
Und der Tod stand vor der Thür.

70
Der Hinkende reite,   der Handlose hüte,

Der Taube taugt noch zur Tapferkeit.
Blind sein ist beßer   als verbrannt werden:
Der Todte nützt zu nichts mehr.

71
Ein Sohn ist beßer,   ob spät geboren

Nach des Vaters Hinfahrt.
Bautasteine[WS 1]   stehn am Wege selten,
Wenn sie der Freund dem Freund nicht setzt.

72
Zweie gehören zusammen   und doch schlägt die Zunge das Haupt.

Unter jedem Gewand   erwart ich eine Faust.

73
Der Nacht freut sich   wer des Vorraths gewiss ist,

Doch herb ist die Herbstnacht.
Fünfmal wechselt   oft das Wetter am Tag:
Wie viel mehr im Monat!

74
Wer wenig weiß,   der weiß auch nicht,

Daß Einen oft der Reichtum äfft;
Einer ist reich,   ein Andrer arm:
Den soll Niemand narren.

75
Das Vieh stirbt,   die Freunde sterben

Endlich stirbt man selbst;
Doch nimmer mag ihm   der Nachruhm sterben,
Welcher sich guten gewann.

76
Das Vieh stirbt,   die Freunde sterben,

Endlich stirbt man selbst;
Doch Eines weiß ich,   daß immer bleibt:
Das Urtheil über den Todten.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Bautasteine – schmale, hohe Denksteine in Skandinavien
Empfohlene Zitierweise:
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/054&oldid=- (Version vom 18.8.2016)