Qualen sie nicht begreift. Die Verdammniß derselben wird vor ihr zur Nothwendigkeit. So unerbittlich blicken Mutter und Sohn aus dem Himmel des Gemäldes heraus. Selbst die heilige Barbara ist in die Kniee gesunken, knittert beklommen das Gewand zwischen den Händen vor der Brust und blickt seitwärts über die linke Schulter herunter. Zu dieser Mutter mit diesem Sohne können nur das sündenverlassene Greisenalter, der heilige Sixtus, und die unschuldige Kindheit, die beiden geflügelten Engelknaben unten, ruhig emporblicken. Das Erdenleben zerdampft unter den Füßen der Gottreinen in ängstlich durcheinanderqualmenden Nebelwolken.
Dieses Bild ist in seiner Wirkung so gewaltig, weil die hellenische Kunst hier auf ihrem Gipfel, ganz von dem ascetischen Geiste des Christenthums überwältigt, ihr eigenes Gesetz, die Sinnlichkeit, verdammen muß. Dieß ist der alte, fleischtödtende Geist des Christenthums, welcher hier, kaum noch von sinnlich schöner Form umschrieben, nur noch die feinste Linie zu durchbrechen braucht, um in den bilderstürmenden Fanatismus der ebräischen Dichter und Propheten des alten Testamentes und in den paulinischen Geist der anbrechenden Reformation überzugehen.
Die Reformation bedurfte zu ihrem Zwecke bloß das gemütherschütternde Wort der ebräischen Bußpsalmen. Sie fand es zunächst in Savonarola, welcher hier in grimmigem Ernste dem hellenischen Leben
Julius Mosen: Die Dresdener Gemälde-Galerie. Arnoldische Buchhandlung, Dresden und Leipzig 1844, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Dresdener_Gem%C3%A4lde-Galerie_(Mosen).pdf/18&oldid=- (Version vom 31.7.2018)