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Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 2.pdf/367

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Deckung des Staatsbedarfs beim Handwerk.

Das Handwerk hält daran fest, daß der Staat die Pflicht habe, wenigstens für einen Teil seines Bedarfs das Handwerk zu berücksichtigen. Tatsächlich ist er diesem Verlangen auch nachgekommen. So hat die Heeresverwaltung 1908 an ihren Lieferungen 70 Innungen und 38 Genossenschaften mit Lieferungswerten von 12/3 Millionen beteiligt, dazu kommen Vergebungen der Militärverwaltung an Handweber für 680  000 M, für Leder an die deutsche Gerbervereinigung mit 4½ Millionen Mark; auch die Reichsmarineverwaltung deckt besonders ihren Lederbedarf beim Handwerk. Ferner ist die Reichspost- und Telegraphenverwaltung auf dieser Bahn mit steigendem Erfolge vorangegangen, und im Bereiche der Eisenbahnverwaltung werden jährlich Arbeiten im Werte von über 100  000 M an Handwerkervereine vergeben. Das ist immerhin schon ein guter Anfang.

Fabrik und Handwerk.

Das Handwerk hat Interesse daran, die Begriffe „Fabrik“ und „Handwerk“ gegeneinander abzugrenzen. Nach der heutigen allgemeinen Ansicht ist eine gesetzliche Bestimmung dieser Begriffe unmöglich, so daß die Entscheidung von Fall zu Fall erfolgen muß. Für das Handwerk handelt es sich bei dieser Frage darum, 1. die größeren kapitalkräftigen Handwerksbetriebe zu der Zwangsinnung und zu den Kosten der Handwerkskammer heranzuziehen; 2. nach dem Handelsgesetzbuch zu entscheiden, ob der Inhaber des Betriebes zur Handelskammer oder zur Handwerkskammer beitragspflichtig ist; 3. festzustellen, ob die in einem Betriebe gehaltenen Lehrlinge den Bestimmungen für Handwerker hinsichtlich der Lehrlingsverhältnisse unterliegen oder nicht. Dabei besteht ein Übelstand darin, daß in Streitfällen unter 1. die Verwaltungsbehörden, unter 2. die Verwaltungsgerichte, unter 3. die ordentlichen Gerichte entscheiden; so ist eine einheitliche Rechtsprechung sehr erschwert. 1912 hat man nun in Konferenzen im Reichsamt des Innern, an denen Vertreter von Handel, Industrie und Handwerk teilnahmen, eine praktische Auseinandersetzung versucht, in der übereinstimmend anerkannt wurde, daß eine Vereinheitlichung der entscheidenden Instanz notwendig, auch die Existenzmöglichkeit handwerklicher Großbetriebe zuzugeben sei. – Die fabrikmäßigen Großbetriebe benutzen Kräfte, die das Handwerk ausgebildet hat; deshalb sollen sie nach dem Wunsche der Handwerker als der stärkere Teil durch gesetzliche Regelung zu den Kosten der Anstalten, die der Ausbildung der Lehrlinge im Handwerk dienen, herangezogen werden. Eine Enquete des preußischen Ministers für Handel und Gewerbe von 1907 aus mehreren Regierungsbezirken ergab, daß bei 1475 befragten Betrieben mit 311 364 Arbeitern nur 36,7% gelernte Arbeiter waren, von denen 40,84% aus Handwerkskreisen stammten; dagegen waren 59,16% in Fabriken ausgebildet. Dabei stellte sich ferner heraus, daß die Zahl der in den Fabriken ausgebildeten gelernten Arbeiter ständig wächst, während die Zahl der im Handwerk ausgebildeten Arbeiter fortschreitend sinkt. So bezeichnete der Minister die Heranziehung der Industrie zu den Kosten der Lehrlingsausbildung als eine kleinliche Kriegsmaßregel, die dem Handwerk keinen Nutzen bringen würde, wohl aber den Frieden zwischen Industrie und Handwerk beeinträchtigen könne. Ferner wies er darauf hin, daß

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 804. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/367&oldid=- (Version vom 20.8.2021)