die in Haufen von Zehntausenden in bestimmten Distrikten seßhaft gemacht werden soll, stößt naturgemäß auf Rechte und Besitzverhältnisse der bereits ansässigen Bevölkerung, die nicht ohne weiteres willig ist, ihren Besitz mit neuen Nutznießern zu teilen. Nur ein vorzügliches Verwaltungssystem vermöchte solche Probleme zu lösen und einem Zusammenstoß der alten und neuen Elemente vorzubeugen.
Bei der Deportation des armenischen Volkes in die Grenzdistrikte der arabischen Wüste hat man sich über diese Frage kein Kopfzerbrechen gemacht. Die Art der Behandlung, die die Deportierten auf dem Wege erlitten haben, läßt darauf schließen, daß den Urhebern der Maßregeln und den ausführenden Organen nicht viel daran lag, ob die deportierte Bevölkerung auf irgend eine Weise die Mittel zu ihrem Unterhalt erhielt, ja, daß es nicht unwillkommen zu sein schien, wenn sie schon unterwegs zur Hälfte umkam und am Ziel ihrer Wanderung an Krankheit und Hunger zugrunde ging.
Das Deportationsziel war nicht etwa, wie es hieß, das von der Bagdadbahn erschlossene mesopotamische Gelände, sondern die südlich davon sich ins Ungemessene ausdehnenden arabischen Wüsten. Die mesopotamischen Städte sind ja selbst ausgeräumt worden. Als Deportationsziel war das Gebiet zwischen Deir-es-Sor am Euphrat (300 Kilometer südöstlich von Aleppo) und Mosul am Tigris bestimmt. Dies Gebiet ist nur unmittelbar am Euphrat und am Tigris mit spärlichen Ortschaften besetzt. Im übrigen dient es als Weidegebiet für die streifenden Nomadenhorden der Araber. Die Zugänge zu diesem Gebiet führen über Aleppo in der Richtung auf Deir-es-Sor am Euphrat, über Urfa, Weranscheher und Nisibin an den Nordrand der arabischen Wüste und über Djesireh in der Richtung auf Mosul. Spätere Transporte wurden auch über Damaskus nach dem Hauran dirigiert.
Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/170&oldid=- (Version vom 15.2.2017)