erhoben, daß die Armenier deportiert werden sollten. Seit Jahrhunderten haben hier unter dem moralischen Druck, den schon die größere Nähe von Europa auf die Bevölkerung der Levantestädte ausübte, Türken, Armenier, Griechen und Juden in Frieden miteinander gelebt. In einzelnen Städten, wie Smyrna, war das christliche Element so überwiegend, daß nur ein Viertel der Bevölkerung auf die Türken entfiel. Smyrna hat unter 210 000 Bewohnern nur 52 000 Türken, dagegen 108 000 Griechen, 15 000 Armenier, 23 000 Juden, 6500 Italiener, 2500 Franzosen, 2200 Österreichern und 800 Engländern (meist Malteser). Die herrschende Sprache ist nicht die türkische, sondern die griechische. Die Armenier haben einen sehr bedeutenden Anteil am Handel. Der Import ins Innere liegt zum größten Teil in ihren Händen. Eine Deportation der Armenier von Smyrna war sinnlos, und kein Vorwand hätte dafür gefunden werden können. Gleichwohl erging der Befehl der Deportation an den Wali. Der Wali Rachmi Bey weigerte sich, den Befehl auszuführen; deshalb mußte er nach Konstantinopel kommen, um sich zu rechtfertigen. Bis jetzt hat er die Deportation verhindern können. Sowohl in der Stadt als auch auf dem Lande ist die armenische Bevölkerung (ca. 30 000 von einer Gesamtbevölkerung von 1 400 000) verschont geblieben. Dies ist allein der Einsicht des Walis zu danken.8)
Das Wilajet Angora zählt nach türkischer Statistik unter 892 000 Einwohnern 95 000 Armenier. Die Stadt Angora ist ein Hauptsitz der katholischen Armenier, die hier und in der Umgegend 15 000 Seelen zählen. Über die Vorgänge im Wilajet, die sich erst im Laufe des Monats August abgespielt haben, liegen folgende Nachrichten vor. Ende Juli wurden alle männlichen gregorianischen Armenier zwischen 15 und 70 Jahren mit Ausnahme einiger Greise aus Angora deportiert. Sie wurden 6 bis 7 Stunden hinter der Stadt bei dem Orte Beiham Boghasi von türkischen Banden, die dorthin bestellt waren, umzingelt
Auch der Wali Rachmi Bei wurde schließlich, wenn auch erst ein Jahr nach der allgemeinen Deportation, durch den Befehl der Regierung von Konstantinopel gezwungen, den Befehl zur Deportation zu geben. Lediglich dem Einschreiten des Oberbefehlshabers General Liman von Sanders, der mit militärischem Widerstand drohte, ist es zu danken, daß die Deportation der Armenier von Smyrna nicht zur Ausführung kam. Vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. LIX und die Aktenstücke Nr. 306, 307, 308.
Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/164&oldid=- (Version vom 31.7.2018)