Shlook erhob sich schnell. „Gehen wir die Posten ab, Ibrahim“, forderte er seinen braunen Verbündeten auf. „Nötigenfalls müssen wir die Wachen verstärken. Ein Gewitterregen könnte den zehn Leuten Gelegenheit zum Entweichen bieten.“
Ibrahim stand auf, und beide verließen nun das Zeltlager, überschritten den Kamm des Sandhügels, hinter dem die Iringi ihre Zeltstadt aufgeschlagen hatten und wanderten schweigend in die Nacht hinaus.
Hin und wieder trafen sie auf eine der Wachen, wechselten stets ein paar Worte mit dem Manne und gelangten so nach einer Viertelstunde in die Nähe des versteinerten Waldes, dessen verkieselte Stämme seltsam fantastisch in die Luft ragten – wie dünne, schiefe Säulen, die ganz natürlich aufgestellt waren.
Jetzt wurden sie vorsichtiger, krochen auf allen Vieren weiter und machten so und so oft halt, um mit Augen und Gehör die Umgebung auf verdächtige Zeichen abzusuchen.
Etwa noch hundert Meter von der Außenreihe der dicht stehenden versteinerten Bäume entfernt, packte Ibrahim plötzlich den Arm des Engländers mit hartem Griff und raunte ihm zu:
„Dort vor uns … Ein Kundschafter der Belagerten. Er naht sich uns wie wir auf allen Vieren. Weichen wir ihm aus …“
Lautlos, sehr gewandt im Anschleichen offenbar, kam eine dunkle Gestalt daher. Es war nicht die ungewisse Beleuchtung, die diesen ausgesandten Späher so klein erscheinen ließ. Der, der sich freiwillig dieser gefahrvollen Aufgabe erboten hatte, war ein schlanker Knabe, gekleidet in einen Anzug aus Fellen und bewaffnet mit einer kurzen Büchse, die er eng um den Hals gehängt trug.
Paul Loring hieß der wackere Junge. Seit Jahren hatte er in der Wüste Ostarabiens gelebt, hatte die merkwürdigsten, traurigsten Abenteuer hinter sich, hatte hier in den Glutebenen Vater und Mutter verloren und sich dann drei deutschen Landsleuten angeschlossen, die zu einem von allerlei Geheimnissen durchwebten Befreiungswerke
W. Belka: Der Tempel Salomonis. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1916, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Tempel_Salomonis.pdf/4&oldid=- (Version vom 31.7.2018)