Mantel der Namenlosigkeit umgeworfen hat. Er hat auch alle Ursache, seines „wissenschaftlichen Gutachtens“ sich zu schämen, und hat gut daran gethan, es bloß mit Dr. W. zu G. zu unterzeichnen. Dagegen schämt er sich nicht, aus dem Versteck der Namenlosigkeit heraus einer großen Ungezogenheit sich schuldig zu machen, indem er alte, schon hundertmal widerlegte Phrasen, sowie die Fälle „Beyrut, P. Thomas in Damaskus, Bernstein in Breslau“ anführt und dann sagt: „Wenn aber sogar Angehörige anderer Rassen, namentlich sogen. deutsche Gelehrte diesen Thatsachen gegenüber sich auf Seite der Juden stellen, so wollen sie oder können sie nicht denken; sie haben sich wohl auch kaum einmal das gewaltige geschichtliche Material angesehen. Es kommt ja auch, um sich die Gunst der Juden zu erwerben, gar nicht darauf an, die Wahrheit zu suchen.“ Das wagt ein Mann zu sagen, der nichts davon weiß, daß schon längst vor „der Mitte des 17. Jahrhunderts“, schon von der Mitte des 13. Jahrhunderts aus Haß und Habsucht zahlreiche Anklagen wegen Ritualmords gegen die Juden erhoben wurden; das wagt ein Mann zu sagen, der nichts davon weiß, daß die Juden mit vollem Rechte, wie die Christen der ersten Jahrhunderte, auf ihre heiligen Schriften sich berufen haben, welche den Mord und Blutgenuß verbieten, und daß sie deswegen keinen Ritualmord begehen dürfen; der nichts davon weiß, daß nicht erst in unseren Tagen, sondern schon vor Jahrhunderten eine lange Reihe von Päpsten, weltlichen Fürsten, gelehrten Gesellschaften und wirklich hervorragenden Männern der Wissenschaft als Zeugen der Wahrheit dafür eingetreten sind, daß die Anklagen wegen Ritualmords gegen die Juden boshafte Verleumdungen genannt werden müssen. Doch söhnt man sich einigermaßen mit ihm wieder aus, wenn er offen eingesteht, es sei noch nicht nachgewiesen, daß die Juden Christenblut in die Osterbrote, Mazzen, thun, es sei überhaupt noch nicht völlig aufgeklärt, wozu sie Blut gebrauchen. Könnte er die antisemitische Binde wegnehmen, die auf dem Auge seines Geistes liegt, dann würde er erkennen, daß die Juden zu rituellen oder religiösen Zwecken überhaupt kein Blut gebrauchen, und darum auch Ritualmorde zu begehen gar nicht nötig haben. Einen tiefen Einblick in den Abgrund seiner juristischen Weisheit gestattet uns der unbekannte Mann der Wissenschaft und des praktischen Lebens in dem Schlußsatze seines Gutachtens, welcher
Friedrich Frank: Nachträge zu „Der Ritualmord vor den Gerichtshöfen der Wahrheit und Gerechtigkeit“. Verlagsanstalt vorm. G. J. Manz Buch- und Kunstdruckerei A.-G. München-Regensburg, Regensburg 1902, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Ritualmord_vor_den_Gerichtsh%C3%B6fen_(1902).djvu/70&oldid=- (Version vom 31.7.2018)