Klage auf Schadloshaltung für die von mir nachgewiesene Benachteiligung zu führen versuchen… Hierbei kommt jedoch eine wahrhaft teuflische Ironie des bürgerlichen Rechtes zutage. Die Gesetze beschützen und sichern das „Eigentum”. Sie bestrafen in allen Ländern den Diebstahl weit strenger als die Körperverletzung, das Eigentumsdelikt grausamer als die Ehrenkränkung. Sie beschützen die Habenden, die Possessores, aber sie kennen keine Schädigung, die sich nicht auf Schädigung an Geld und Gut zurückführen lässt. Eine Klage wider Lärm und Geräusch kann somit nur dann geführt werden, wenn ich eine bezifferbare Vermögensbeschädigung geltend machen kann; eine Klage wider Immissionen, die meinen „Erwerb” nicht schädigen, würde als „unwesentlich” im Sinne des § 906 zurückgewiesen werden.
Hierzu kommt folgendes unsägliche psychologische Moment: eine Klage nach § 1004 kann nur dann geführt werden, wenn „eine Beeinträchtigung unmittelbar durch die Sinne, nicht aber, wenn sie nur vermittelst des Denkvermögens empfunden wird.” Daher kann ich gegen nicht substantielle Immissionen (z. B. gegen einen benachbarten Bordellbetrieb) auf Grund der Negatoria keine Klage führen… Gesetzt nun, ich reiche gegen sinnfälligen Lärm eine Immissionsklage ein, was wird dann geschehen? Es wird zunächst (bei Klage nach § 26 der Gewerbeordnung) eine Kommission an Ort und Stelle erscheinen. Ein Verwaltungsbeamter prüft nach, ob der Lärm, der meinem Gehirn angeblich die Arbeit erschwert, auch seinem Gehirn das Denken unmöglich machen würde (was aber in der Regel nicht der Fall sein wird). Eventuell kann auch ein medizinischer „Sachverständiger” vom Gericht beauftragt werden, nachzuprüfen, ob das, was mir in die Nase duftet, auch in dem zufälligen Zeitpunkt seines Erscheinens ihm in die Nase duftet, oder ob die grelle Lichtwahrnehmung, die mein Auge schädigt, auch ihm schädlich erscheine. Konstatiert der medizinische „Sachverständige”, dass die „Einwirkungen auf die Sinne” sich wohl „aushalten lassen”, dann ist eine Immissionsklage im Zivilrechtswege überhaupt nicht mehr möglich, denn die Verwaltungsbehörde hat die Macht, nach 19 Abs. 2 und 17, bereits die Klagemöglichkeit niederzuschlagen… Zudem aber liefert die Gewerbeordnung dem vexatorischen Nachbar eine ganze Reihe anderer Handhaben; sie bietet ihm einen Schutz gegen die Klage auf Lärm, nicht aber mir Schutz gegen seinen Lärm. – Der Immittent ist z. B. nicht verpflichtet, mir oder meinen Vertretern Zugang oder Einblick in seinen meine Nervenruhe störenden Gewerbebetrieb zu gestatten. Er kann ferner selbst dann, wenn ein Zivilgericht auf Abstellung einer das Nachbargrundstück schädigenden Anlage erkennen sollte, nochmals den indirekten Einspruch der Verwaltungsbehörde anrufen, die jeder Veränderung im Betriebe seiner Anlage ihre Genehmigung verweigern kann. Da er nicht auf Herstellung
Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/86&oldid=- (Version vom 31.7.2018)