Treppenläufer, Matten und Teppiche auf ein vor der Stadt gelegenes vorgeschriebenes Klopfterrain hinausfahre, um dort fern von beleidigten Ohren nach Herzenslust zu lärmen. – Wohl aber wäre es ein Leichtes, das Geschäft der Hausreinigung zunächst wenigstens teilweise zu zentralisieren.
Das Ausklopfen von Polstern und Teppichen könnte einen eigenen Beruf bilden, dessen Ausüber täglich, in frühesten Morgenstunden durch die Strassen fahren, um die für den Tag zu reinigenden Möbelstücke auf Karren abzuholen, auf den Klopfplatz zu fahren und umgehend zurückzuliefern. Diese Abgabe des Betten-, Polster- und Teppichklopfens würde Gesundheit und Arbeitskraft vieler arbeitender Frauen ersparen. Der Unternehmer könnte einen guten Gewinn erzielen, selbst wenn er für jedes geklopfte Stück nur ein paar Pfennige erhielte. Endlich wird sich zeigen, ob etwa die Reinigung der Polster durch hydraulisch komprimierte Luft, wie sie gegenwärtig an einigen Orten eingeführt wird, schliesslich zu allgemeiner Anwendung kommen kann.
Alle die hier besprochenen Schäden wurzeln freilich letzten Endes tiefer, wurzeln in den vom Mittelalter überkommenen Wirtschaftsformen der Einzelkochwirtschaft und des separierten Familienhaushaltes, in denen auch der moderne Mensch die Grundlage des „Individualismus”, der „individuellen Gemütlichkeit”, ja schliesslich das ganze Wesen des Familienlebens und die einzig mögliche Form des „intimen und differenzierten Zusammenlebens” gleichgestimmter Seelen oft noch zu erblicken pflegt. Eben darum aber weil in diesen Formen der Wirtschaft persönlichste Gefühle und Stimmungen der Seele seit alters verankert liegen, ist, den meisten Menschen gegenüber, unmöglich, die Vergänglichkeit und Unzweckmässigkeit dieser Lebensformen objektiv klar zu machen, denn immer wieder wird die Vorherrschaft willkürlicher und subjektivistischer Formen als der Ausdruck persönlichen, individuellen Erlebens in Anspruch genommen. Aber gleichwohl werden einmal Zeiten und Menschen kommen, die unsere Lebensart nicht mehr begreifen. Sie werden sich immer von neuem wundern, wie wir nur unter den jetzt gegebenen Gestaltungen der Hauswirtschaft schaffen und altern konnten. So etwa wie wir uns wundern, wenn wir im Hause Dürers die alte Küche sehen, in der einst Frau Agnes ihrem Gatten das tägliche Mahl bereitet hat.
Steckt denn nicht unbeschreibliche, grauenhafte Vergeudung von Menschenleben, von unwiderbringlichen Seelen- und Geistes-Kräften dahinter? Familienhäuser mit zehn, zwanzig, hundert Parteien! Eine jede kocht tagtäglich auf dem eigenen Herde die selbe Suppe. Aus
Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/65&oldid=- (Version vom 31.7.2018)