mitwirken, zusammenfliessen und sich durchdringen; das ganze Menschengeschlecht, der ganze Kosmos. Es ist alles gleichmässig nichtig und wichtig; es ist gleichgültig, wo man beginnt. Das aber ist nur eine falsche „Wissenschaftlichkeit”, für die just das Feierliche, Profunde, Ausdrückliche – Anlass zum Nachgrübeln enthält. Sich mit Gott und dem Ende der Menschheit beschäftigen ist nicht an und für sich bedeutender, als die Beschäftigung mit den tausend konkreten Kleinigkeiten der Praxis. Diese bilden schliesslich doch immer die eigentliche Sorge unsrer Lebenstage, wirken am unerbittlichsten und verhängnisvollsten, und werden von jedermann im Grunde seines Herzens für das Notwendigste seines Lebens gehalten. – Ein allgemein menschlicher, tagtäglicher Notstand aber steht hier in Frage. Die treffendste Form unserer Sprache, die konzentrierteste Geisteskraft auf seine Durchleuchtung und Höherwürdigung zu verwenden, wäre mein Wunsch. Gleichwohl können sich unter den fünf Kapiteln meiner Schrift mehrere Abschnitte, (besonders die beiden ersten allgemeineren Kapitel), nur an Wenige, Anspruchsvolle wenden. Jene Leser, denen ausschliesslich das praktische Interesse, das „Meritorische” des Buches am Herzen liegt, mögen getrost diese oder jene Seite überschlagen. Sie sollen dort zu lesen beginnen, wo es sich für sie um aktuelle, greifbare, sinnfällige Erlebtheiten handelt, um Gebiete, die jeder kennt und in denen jeder mithelfen muss. Denn das letzte Ziel, das ich mir setze, ist dieses, einen Feldzug zu predigen. Mein Buch soll Signal werden zu einem allgemeinen Kampf gegen das Übermass von Geräusch im gegenwärtigen Leben. Es möge geschicktere oder volkstümlichere Federn in Bewegung setzen. Möge vielen Veranlassung bieten, seine Anregungen weiter zu tragen. Ja, ich hoffe auf Verwirklichung eines allgemeinen, internationalen Bundes wider den Lärm, der Einfluss auf Strafgesetz, Zivilgesetz, Verwaltungs- und Polizeigesetzgebung erlangt. Auf seinem Banner soll stehen: „non clamor sed amor”.…
Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/5&oldid=- (Version vom 31.7.2018)