irgendwelche, Modeerfolge haben, wollen durchaus die „Menschheit erziehen“, fanatisieren und moralischen Einfluss nehmen durch Schreien und Lärmen. Und was wird nicht vollends an Erziehungsanstalten und Universitäten gepredigt, gelärmt und gebessert! Man gewinnt schliesslich den Eindruck, dass es aller Welt nur darauf ankomme, mitzureden, dabei zu sein und lärmende Macht auszuüben. Darauf deutet auch die unsinnige, deutsche Einrichtung der „Diskussion“, – wenn etwa nach dem künstlerisch geschlossenen Vortrage eines Sachkundigen Hinz und Peter aufstehen, um irgendwas Nebensächliches, Konfuses oder Verwirrendes ahnungslos und selbstüberzeugt zu Markte zu bringen, worauf es alsbald „in die Zeitung kommt“. Wie wenige ahnen, dass alles Reden Irrtum einschliesst. Den Irrtum, dass man zu keinem Gegenstand „Distanze“ hat, in dem man unmittelbar lebendig ist …
Auf dem Gipfel trägt Kultur das Ideal allwissenden Schweigens. Jenes Ende, das Fiesole im Bilde des Petrus Martyr gezeigt hat. – Es liegt eigene Wahrheit darin, dass auch die Religion das letzte uns verheissene Paradies und die „ewige Seligkeit“ als „Hort des Schweigens“, dagegen die Hölle als Stätte unausgesetzten Lärmes schildert. – Im Hades wird kein lautes Wort mehr gesprochen. Selbst das Ruder des Charon erregt keinen Laut in stummen Wellen. Der letzte Lärm, der den Scheidenden entlässt, ist der Ruf der am Ufer harrenden Seelen, die sehnsüchtig auf den erlösenden Nachen warten. Im „Christenhimmel” freilich geht es nicht ohne Posaune und Engelchöre ab und die grässliche Aussicht auf verklärte, singende und schmausende Philister. Dafür bieten wenigstens die Schilderungen der Hölle, wie sie die Kirchenväter entwerfen, eine um so energischere Verurteilung des irdischen Gelärmes. Ihre Schilderungen schwelgen in dem fürchterlichen Höllengeschrei, das die rachsüchtigen Teufel erheben und in der Vorführung des Jammers, der die sündhaften armen Seelen „tönen macht“ …
Dante schon sang von der Erfindung eines Teufels. Eine ungeheuere, grässlich dröhnende Glocke, die Tag und Nacht geläutet wird. An ihren Schallmantel wird das arme Opfer festgeschnallt. Die Schläge der Glocke treffen unaufhörlich sein Ohr, so dass der ganze Körper mitbeben muss, bis schliesslich der Wahnsinn dem Gemarterten Erlösung bringt. Das ist das wahrhafte Symbol für den Lärm unseres Menschenalters …
Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/26&oldid=- (Version vom 31.7.2018)