geliebten Mutter das Leben kostete, haben sich meinem Gedächtnis mit furchtbarer Deutlichkeit für alle Zeiten eingeprägt. – Ich sehe noch jene Szene, als die rohen Feinde über der Leiche eilig einen Steinhaufen auftürmten, wie zwei von ihnen meinen bewußtlosen Vater über steile Abhänge bis zu einem Versteck hinabtrugen, wo die Beduinen ihre Reittiere untergestellt hatten, höre noch das wahnsinnige Lachen meines Vaters, als er wieder zu sich kam und es sich zeigte, daß er über all dem Schrecklichen den Verstand verloren hatte.
Dann wurden wir auf ein Lastkamel eng gefesselt gepackt, wurden in zwei Tragkörbe wie Stoffballen gepreßt, und fort ging’s nach Südwesten zu, hinein in die Wüste.
Dieser tagelange Ritt war für uns Gefangene eine entsetzliche Marter. Die Weidenkörbe, in denen wir hockten, hingen jeder an einer Seite des Lasttieres herab, wurden andauernd durch den wiegenden Trab hin und her geschüttelt und setzten uns schlimmer zu, als ein Sturm, den man in einer Nußschale von Boot auf hoher See erlebt. – Meinen Vater behandelten die Beduinen – es waren einige zwanzig Leute vom Stamme der Bir Billa – besser als mich, gaben ihm reichlichere Nahrung und mehr Trinkwasser und fesselten ihm nur die Hände. Fraglos flößte ihnen der weiße Mann, der zumeist still vor sich hin lächelte und mich seinen Sohn nur gelegentlich wie einen Fremden anredete, eine gewisse Scheu ein.
Ich selbst habe die ersten Tage in einer Art Betäubung verbracht, habe mich um nichts gekümmert, kaum auf das geachtet, was um mich her vorging. Meine Gedanken beschäftigten sich nur immer mit der toten Mutter und mit dem armen Vater, der eigentlich für die Welt ebenfalls schon tot war als einer, dessen Geist die Schrecknisse jener Unglücksstunde verwirrt hatten. –
Dann aber gewann doch die jugendliche Geschmeidigkeit die Oberhand. Mein Interesse wurde rege. Alles um mich her war mir ja neu: das Lagerleben der Beduinen, die Reise durch das Sandmeer und ebenso die Menschen, die uns als Gefangene davonführten. Hatte ich doch bisher nur seßhaft gewordene Araber kennen gelernt. Nun
W. Belka: Der Gespensterlöwe. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1916, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Gespensterl%C3%B6we.pdf/13&oldid=- (Version vom 31.7.2018)