Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492 | |
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auch jetzt einmal genauer ansehen … Als die Aufwartefrau sich wieder in das Zimmer zurückwandte, um ihren Rehlederlappen, mit dem sie die Fenster reinigte, auszuwinden, war der „Herr Rat Winter“ aufgestanden.
„Liebe Frau,“ sagte er freundlich, „mir ist da eben eingefallen, daß ich mir ja noch ein Paar Handschuhe kaufen wollte; ich werde also die Zeit, bis Ihre Damen wiederkommen, zu dieser Besorgung verwenden. Nachher finde ich die Damen dann wohl vor.“ –
Als Grosse die Treppen hinabstieg, summte er ein Liedchen vor sich hin; und die Turmuhr von St. Katharinenkirche[1] schlug gerade ¼5, als er wieder auf die Straße trat. Eilig ging der Beamte durch die Straßen dahin – ebenso eilig stürmten seine Gedanken. Hin und wieder huschte es wie ein schadenfrohes Lächeln über sein Vogelgesicht. – Armer Dr. Werres. – Die Pläne, die dieser Grosse jetzt schmiedete, können dir gefährlich werden! Du hast deinen Beauftragten doch unterschätzt – er hat dich durchschaut und will nun doch einmal seinen Kollegen Müller fragen, ob der bei seinen Recherchen nicht auch so zufällig auf die Person dieses Kassierers Willert gestoßen ist. Und dann werden sie gemeinschaftliche Sache machen, die beiden gegen dich, werden dir die Frucht deiner mühsamen Arbeit mit ihren plumpen Händen so mühelos entreißen – und du wirst das Nachsehen haben … – Grosse läutete an der Flurtür in der ersten Etage der Abeggasse Nr. 12. Werres’ Wirtin öffnete und ließ den Beamten ein. „Der Herr Doktor ist zu Hause …“ sagte sie vertraulich, da ihr der Beamte durch seine häufigen Besuche bereits bekannt war. –
Werres saß am Schreibtisch und vor ihm lagen seine Aufzeichnungen, die er wieder und wieder überlesen hatte, um vielleicht irgend einen Anhalt für das Letzte zu finden, was bisher noch verborgen geblieben war. – Wo hatte der Mörder seinen Raub gelassen, in welchem Versteck lagen diese 150 000 Mark …? – Seit Tagen schon beschäftigte ihn diese Frage, aber eine Lösung fand er nicht. – Gewiß gestern nacht, als er hier bei der brennenden Lampe saß und das Verzeichnis der geraubten Banknoten mit der Nummer des 500 Markscheines verglich und plötzlich vor Erregung aufspringen mußte, da seine Gedanken ihn hochrissen, da war blitzschnell ein Verdacht in ihm aufgetaucht … Der Kassierer hatte gelogen, als er während des Spiels aufbrach und sagte, er wollte sich von Hause Geld holen – denn er war nicht zu Hause gewesen; das hatte Werres ja festgestellt, da Willert den Weg von dem Helfrichschen Restaurant bis zu seiner Wohnung und zurück in acht Minuten zurückgelegt hatte … Zu Hause war er also nicht gewesen – woher hatte er aber sonst diesen Schein geholt – gerade diesen Schein?! – Nachts in dem Helfrichschen Hinterzimmer, als seine Gedanken durch die schwere Bowle und den Zigarettenrauch benommen waren und nicht mehr so tadellos funktionierten, da war er über diese Frage nicht weitergekommen. Dann hatte ihn die Nachtluft leise durchfröstelt, die schnelle Bewegung tat ihm wohl, ermunterte ihn, denn er war beinahe im Sturmschritt nach Hause geeilt; – und dann hier in seinen vier Wänden, als er noch erregt auf und ab lief, als neben dem Banknotenverzeichnis dieser 500 Markschein – dieser Schein lag, da war er plötzlich stehen geblieben und der Herzschlag hatte ihm beinahe gestockt … Und das Resultat seiner weiteren Überlegungen war dann dieser Auftrag für Grosse gewesen, der nur feststellen sollte, ob der Arzt Werner gestern nacht gegen ¼1 die Frau Rechnungsrat Schwarz aufgesucht hatte. – Nun war Grosse da, nun mußte es sich herausstellen, ob seine Vermutungen auch dieses Mal zutrafen!
Werres hatte den Gruß des Beamten kurz erwidert. „Hier – setzen Sie sich hin, Grosse, dabei wies er auf den dicht am Fenster stehenden Sessel – „und nun schießen Sie los! Was haben Sie erfahren?“ – Dann drehte er sich wieder um und blätterte in seinen Papieren, als ob das, was er nun hören würde, nicht allzuviel Interesse für ihn hatte. Links neben Werres auf dem Schreibtisch stand noch der große Stehspiegel mit der Nickeleinfassung, den er vorhin zum Rasieren benutzt hatte.
„Ja,“ meinte Grosse – „das war vergebliche Mühe.“
Werres schaute doch etwas enttäuscht unwillkürlich auf und … zufällig sah er in dem Spiegelglase vor sich das Gesicht des Beamten – und dieses Gesicht zeigte einen so verschmitzten, schadenfrohen Ausdruck, daß Werres aufmerksam wurde. Aber gelassen sagte er nur: „So – also dieser Arzt Werner bleibt verschwunden …“ Sein Blick blieb aber seitwärts auf dem Spiegel haften.
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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 372. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/40&oldid=- (Version vom 31.7.2018)