Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492 | |
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„Versprechen?“ – Werres zuckte die Achseln. – „Bei einer so verwickelten Geschichte muß man jeder noch so zweifelhaften Spur nachgehen. – Sagen Sie mal, Grosse,“ fuhr er dann nachsinnend fort, „wissen Sie, ob der Herr Kommissar Nachricht von Turski erhalten hat, der doch in Scherwinden den Baron von Berg beobachten soll.“ Grosse schaute erstaunt auf. „Das wissen Herr Doktor? … Ich denke, der Herr Kommissar wollte das geheimhalten!?“
Werres lächelte ironisch. „Lieber Grosse, dann müßte Richter nur nicht so unvorsichtig sein und Turskis Adresse in Scherwinden so offen auf den Tisch legen. Denn was das zu bedeuten hat, wenn da auf einem Blatt Papier steht: Turski – Kaufmann und Händler Dreher Scherwinden per Salan –, das ist doch nicht schwer zu erraten. Grosse schwieg und nickte nur zustimmend. Dann sagte er kleinlaut: „Turski hat geschrieben, ich weiß es von Behrent – aber es ist da nichts zu machen. Alles ebenso vergeblich wie hier …“
„Schade,“ meinte Werres bedauernd, „ich hatte mir eigentlich von dieser Beobachtung des Barons etwas versprochen.“ – Der Beamte konnte sein Gesicht nicht sehen, da er es dem Fenster zugedreht hatte. Aus diesem Gesicht lag ein ironisches Lächeln. – Dann schickte Werres den Kriminalbeamten fort.
Grosse stieg langsam die Treppe hinab und blieb vor der Haustür stehen, um sich eine Zigarre anzustecken. Gemächlich schaute er auf ein paar Spatzen, die sich auf der Straße lärmend balgten und dann in jäher Hast, ohne ersichtlichen Grund, davonflogen. Wenn Werres vorhin über die Naivität seines Beamten gelächelt hatte, der alles, was er sagte, so brav für bare Münze nahm, so fühlte sich jetzt Grosse durchaus berechtigt, nach den ersten Zügen aus seiner Zigarre ebenso höhnisch das Gesicht zu verziehen. – „Dieser Doktor,“ sagte er sich, „ist ja ein sehr freundlicher Herr – nur hat er das Pulver auch nicht erfunden. Jetzt scheint’s mir beinahe, als ob er uns – mich und den Müller – nur deswegen herumhetzt und uns diese lächerlichen Geschichten ausbaldowern läßt, um uns zu beschäftigen – damit es oben so aussieht, als ob er weiß Gott wie eifrig hinter diesem Mörder her wäre. Und dabei hat er doch sicherlich ebenso wenig Ahnung von dem Herrn Doppelgänger, wie wir alle.“ – Damit ging Grosse die Abeggasse hoch und bog in die nächste Straße ein. Als er an einer Stehbierhalle vorbei kam, wurde er plötzlich angerufen. In der Tür zu dem Lokal stand sein Kollege Müller und winkte ihn herein.
„Du, Grosse, ist der Doktor zu Hause?“ fragte er eilig. – „Du kommst doch gerade von ihm?“
„Ja – wird auch wohl noch eine Weile dableiben, da er noch Hausschuhe anhatte.“
„Dann brauche ich mich nicht zu beeilen. – Komm, wir wollen noch schnell ein Bier trinken, so viel Zeit muß sein.“ – Sie hatten sich an einen Tisch in die Nähe des Fensters gesetzt und tauschten nun gegenseitig ihre Erlebnisse aus.
„Ja,“ meinte Müller behaglich lachend – „schwer haben wir’s bei dem Doktor nicht. Aber von dieser Belohnung – Mensch, denke, das können 55 000 Mark günstigstenfalls sein – werden wir auch nichts zu sehen bekommen. Du hast recht – was wir bisher für ihn festgestellt haben, ist keinen Pfifferling wert. Und wozu das alles?! Was hat das mit dem Morde zu tun, möchte ich einen Menschen fragen, daß Vorsitzender der freien dramatischen Vereinigung der Landesrat Pankritius ist, daß heute abend im Schützenhause von diesem Verein ein neues Stück aufgeführt wird, und daß ich ihm das Mitgliederverzeichnis besorgen mußte! Denke dir, Grosse, das rauszubekommen war nun meine gestrige Arbeit …!“ Müller trank sein Glas aus. „Eines genehmigen wir uns noch, denn ob Pankritius oder der heilige Pankratius der Vorsitzende ist, das kann dem Doktor kaum was helfen und dem toten Bankier auch nicht.“
Grosse grinste vor sich hin. „Du“ – meinte er vertraulich – „ich habe mir etwas überlegt. – Ich werde dem Doktor doch mal beweisen, daß wir auch nicht so von heute sind, daß er uns da wie die dummen Jungens nach Eiern suchen läßt, die ein Hahn gelegt haben soll. Wenn es diese verwitwete Frau Rechnungsrat Schwarz wirklich gibt – ich glaube aber beinahe, die existiert ebenso wenig, wie dieser Doktor Werner – dann werde ich ihm mal beweisen, daß unsereins auch kombinieren kann. Er will erfahren haben, daß jener Arzt heute morgen um ¼1 diese Witwe aufgesucht hat … na, und das ist doch klar, daß, wenn dieser Werner wirklich dagewesen ist, er die Frau Schwarz sehr gut kennen muß. Denn für gewöhnlich besucht man doch nachts allerhöchstens Leute, denen man sehr nahe steht – wenn man’s überhaupt tut! Und weißt du, was ich nun machen werde? – Ich gehe einfach zu dieser Witwe – falls sie eben nicht nur in Werres Phantasie existiert – und stelle mich als Bekannten ihres verstorbenen Mannes vor. Was der eigentlich gewesen ist und wo er gelebt hat, ob hier oder wo anders, werde ich schon auf dem Einwohnermeldeamt, oder auf dem Standesamt erfahren – rauskriegen tu ich’s sicher! Und dann schwindle ich der Frau so eine recht hübsche Geschichte vor – was, wird sich finden. Und schließlich frage ich sie dann, ob denn der Doktor Werner noch lebt, den ihr Mann doch auch gekannt haben muß. – Da werde ich ja sehen, ob sie den überhaupt kennt … und wenn’s der Fall ist, horche ich sie schon weiter aus.“
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/37&oldid=- (Version vom 31.7.2018)