Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492 | |
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(Nachdruck verboten)
Der Bankier Friedrichs stand in seinem Privatkontor am Telephon, hielt das Hörrohr gegen die linke Ohrmuschel gedrückt und schaute wie auf Antwort wartend auf das diskrete Muster der dunklen Ledertapete, mit der die Wände des Zimmers bekleidet waren. Dann schien er gespannt zu lauschen, nickte auch verschiedentlich mit dem Kopf, bis er hastig in den Apparat hineinsprach …
„Nein … 150 000 Mark, und zwar 10 000 Mark in Hundertmarkscheinen und den Rest in Banknoten à 500 und 1000 Mark – so hat es der Baron von Berg ausdrücklich gewünscht. Wissen Sie nun Bescheid?!“
Er nickte dann wie zustimmend, hing das Hörrohr an den Haken und setzte sich an den großen Diplomatenschreibtisch, welcher der Tür gegenüber an der Wand stand. – Friedrichs war eine unbedeutende Erscheinung, klein und mager, mit eingesunkener Brust und schlechter nach vorm übergebeugter Haltung; nur die dunklen klugen Augen unter der hohen Stirn gaben dem von einem spärlichen grauen Vollbart umrahmten Gesicht einen Ausdruck von Intelligenz, den auch das lebhafte, nervöse Zucken der Mundwinkel nicht beeinträchtigte. Der Bankier war unverheiratet und ging völlig in seinem Geschäft auf, das er durch eigenen Fleiß und rücksichtslose Energie zu einem der bedeutendsten Bankinstitute der Provinzialhauptstadt X. gemacht hatte. Von seinen näheren Verwandten lebte nur noch ein älterer Bruder, der Sanitätsrat Dr. Friedrichs, in einer nahen Kreisstadt.
Friedrichs hatte sich in seinen bequemen Schreibtischsessel zurückgelehnt, die Arme aufgestützt und die schlanken Finger ineinander geschlungen. Er schien eine ihn besonders interessierende Sache nochmals zu überlegen. – Durch die beiden mit verzierten Eisengittern versehenen Fenster, die auf einen Lichthof hinausgingen, drang nur wenig Licht in das große Zimmer. Draußen herrschte das richtige Frühjahrswetter; es regnete in Strömen und die Regentropfen vollführten ein eintöniges Geklapper auf den Glasscheiben, mit denen der Lichthof überdeckt war. Dieses monotone Geräusch übte eine einschläfernde Wirkung aus. Friedrichs fuhr zusammen, als die Stutzuhr auf dem Kaminsims neben der Tür mit schnellen Schlägen die zehnte Stunde verkündete. Kaum war das leise Nachklingen des letzten Schlages verhallt, als sich ein leises Klopfen an der durch einen dicken Vorhang verdeckten Tür vernehmen ließ. Der Bankier erhob sich, schlug den Vorhang zurück und öffnete. In der Tür stand ein vielleicht fünfzehnjähriger Junge in einer Art Livree, der mit abgezogener Mütze den Herrn Baron von Berg meldete. Der Bankier hatte kaum den Namen gehört, als er auch schon die Tür, die in ein sehr elegant eingerichtetes Wartezimmer führte, vollends aufstieß und dem großen schlanken Herrn, der soeben vorsichtig seinen spiegelblanken Zylinder auf einen Sessel stellte, entgegenging.
„Bitte, wollen Sie nicht näher treten, Herr Baron!“ – Friedrichs ließ den Besucher vorangehen und zog dann die Tür wieder ins Schloß. „Guten Morgen, mein lieber Herr Friedrichs – zunächst – wie geht’s?“ meinte der Baron, nachdem
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/2&oldid=- (Version vom 31.7.2018)