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Seite:Der überlistete Einbrecher.pdf/4

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Walther Kabel: Der überlistete Einbrecher. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1911, Bd. 7, S. 234–237

Der alte Einbrecher lächelte selbstgefällig und erklärte sich gern bereit, den Versuch zu machen. Unter sicherer Bedeckung fuhr er dann dem Gutshause des Herrn Melville zu.

Der Geldschrank, der seine Schätze so hartnäckig hütete, stand in dem hellen Arbeitszimmer. Divinaux warf nur einen einzigen Blick auf die Fabrikmarke, die an der Tür des stählernen Schrankes angebracht war, und verlangte sofort ohne nähere Besichtigung des Schlosses einen langen, biegsamen Draht. Diesen bog er zu einer Schlinge, die er in die Schlüsselöffnung einführte. Sehr bald schon hörten die Anwesenden ein leises Schnappen. Divinaux hatte die erste Hemmung zurückgezogen. Nach weiteren fünf Minuten war der Schrank geöffnet.

Triumphierend schaute der große Einbrecherspezialist seinen Auftraggeber an.

Aber dessen Antwort ließ dieses Lächeln urplötzlich wieder verschwinden. „Divinaux,“ sagte der angebliche Gutsbesitzer ironisch, „Sie sind wirklich ein Künstler! Aber Sie wollen doch nicht im Ernst behaupten, daß Sie zum ersten Male einen solchen Schrank unter den Fingern gehabt haben? Denken Sie nur an den Einbruch in das Kassengewölbe der Montmartregenossenschaft. Dabei wurde ganz derselbe Schrank seines Inhalts beraubt, nachdem er auf eine unerklärliche Weise geöffnet worden war. Sie haben bisher von dieser Sache nie etwas wissen wollen. Aber jetzt eben erbrachten Sie uns den Beweis, daß Sie doch der Täter sind. Oder – können Sie mir eine glaubwürdige Erklärung dafür abgeben, wie es kommt, daß Sie sich mit der Konstruktion dieses Schlosses hier so sehr vertraut zeigten?“

Divinaux versuchte es in der ersten Überraschung mit allerlei Ausreden, verwickelte sich aber immer mehr in Widersprüche und mußte endlich doch die Waffen strecken.

Der angebliche Gutsbesitzer Melville war kein anderer als ein Geheimpolizist, der schon längst den Plan gefaßt hatte, den Einbrecher zu überlisten. Auf seine Veranlassung war ein Geldschrank genau derselben Konstruktion wie der, welcher der auf so geheimnisvolle Weise bestohlenen Montmartregenossenschaft gehörte, in das Gutshaus geschafft, und auch die ganze

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der überlistete Einbrecher. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1911, Bd. 7, S. 234–237. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1911, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_%C3%BCberlistete_Einbrecher.pdf/4&oldid=- (Version vom 31.7.2018)