einnahm, mußte sich bequemen, mit ihnen im Speisesaal zu essen, denn nach Zurückgezogenheit war den beiden gar nicht zumute; voll gesunder Jugendlichkeit, wollten sie Menschen sehen, Musik hören, diese paar Tage genießen, die wie Geschenke des Geschicks waren.
Später am Nachmittag fuhr Großmama mit den Enkeln aus. Siegesfahnen wehten in allen Straßen, denn es war zur Zeit des großen Durchbruchs nach Osten. Die weißen Fahnen mit dem schwarzen Adler auf den Regierungsbauten standen wie blendend helle Tupfen gegen die violetten Wolken, die sich am blaßblauen Himmel ballten. In den Straßen gingen die Menschen mit freudig belebten, von neuem Hoffen erfüllten Gesichtern. Immer wieder schauten sie hinauf zu den flatternden Flaggen, die mit ihrer frohen Buntheit die Häuserreihen füllten; große Errungenschaften kündete ihr Rauschen, und noch größere Verheißungen schienen ihre wogenden Falten zu schwellen: würde dieser Siegeszug gen Osten vielleicht den ruhmreichen Frieden bringen? Alle sicherlich hofften es. Großmama jedoch dachte dabei an die vielen draußen, denen dieser also gefeierte Siegestag zum letzten geworden, die, auf fernem Boden still liegend, mit offenen Augen zum Himmel starrten und die Sonne doch nicht mehr gewahrten. Und währenddessen schritten daheim, in den flaggendurchwehten Straßen, schöne Frauen und schauten wohlgefällig auf die beiden wettergebräunten Enkel in ihrer gestählten Jugend; – ein flüchtiges Spiel der Blicke, ein leises Lächeln huschte hin und her, verband ein Zeitatom lang die aneinander Vorbeigleitenden,
Elisabeth von Heyking: Zwei Erzählungen. Philipp Reclam jun., Leipzig [1918], Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Erz%C3%A4hlungen_Heyking_Elisabeth_von.djvu/62&oldid=- (Version vom 31.7.2018)