Es ist Morgen. Durch die Eisblumen auf den Fensterscheiben fällt das helle Sonnenlicht in die Kinderstube. Wanja, ein etwa sechsjähriger Junge, kurz geschoren, mit einer Nase wie ein Knopf, und seine Schwester Nina, ein vierjähriges pausbäckiges, für sein Alter etwas kleines Mädchen, erwachen und schauen sich durch die Gitter ihrer Bettchen böse an.
„Ja, schämt ihr euch denn nicht?“ brummt die Wärterin, „alle braven Leute haben schon Tee getrunken, und ihr könnt immer noch nicht die Augen aufkriegen…“
Die Sonnenstrahlen tanzen heiter auf dem Teppich, den Wänden und dem Kleide der Wärterin, als lüden sie ein, mit ihnen zu spielen. Aber die Kinder bemerken das nicht; sie sind heute übler Laune beim Erwachen. Nina wirft die Lippen auf, macht ein saures Gesicht und fangt an zu greinen:
„Tee–e–e! Marie! Te–e!“
Wanja zieht die Stirne kraus und grübelt, ob er nicht auch einen Grund zum Heulen finden könnte; er blinzelt schon mit den Augen und öffnet den Mund, in diesem Augenblick schallt aus dem Salon die Stimme der Mutter:
„Daß nicht vergessen wird, der Katze Milch zu geben! Sie hat jetzt Junge…“
Wanja und Nina machen lange Gesichter und sehen einander fassungslos an, dann schreien sie beide zugleich auf, springen
Anton Pawlowitsch Tschechow: Von Frauen und Kindern. Musarion, München 1920, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Von_Frauen_und_Kindern_(Tschechow).djvu/123&oldid=- (Version vom 31.7.2018)