„Ich habe auch selber daran gedacht, aber woher das Geld nehmen, und wem soll ich denn mein Bureau übergeben?“
Und nach einigem Nachdenken fügte er hinzu:
„Natürlich, du langweilst dich… Fahr, wenn du willst, allein!“
Ssofja Petrowna war im ersten Augenblick damit einverstanden. Gleich darauf kam es ihr aber in den Sinn, daß Iljin die Gelegenheit benützen würde, um mit ihr im selben Zuge, in einem Waggon zu fahren… Sie sann darüber nach und sah dabei auf ihren satten, aber immer noch müden Mann. Zufällig blieb ihr Blick auf seinen kleinen, fast weiblichen Füßen haften, und sie betrachtete seine gestreiften Socken; an den Spitzen beider Socken hing je ein Fädchen…
Hinter den herabgelassenen Stores summte, immerfort ans Fenster schlagend, eine große Hummel. Ssofja Petrowna blickte auf die Fädchen, hörte die Hummel und stellte sich vor, wie sie reisen würde… Ihr gegenüber sitzt Tag und Nacht, ohne die Augen von ihr zu wenden, Iljin, wütend über seine Schwäche und blaß vor seelischer Ueberwindung. Er nennt sich einen dummen Jungen, macht ihr Vorwürfe, reißt sich das Haar aus dem Kopf, aber sobald es dunkel wird, paßt er den Moment ab, wo die Passagiere einschlafen oder ans Büfett gehen, fällt vor ihr auf die Knie und umarmt ihre Beine, wie damals auf der Bank…
Sie wurde gewahr, daß sie träumte…
„Hör’ mal, allein fahre ich nicht!“ sagte[WS 1] sie. – „Du mußt mitkommen!“
„Phantasien, Ssofotschka!“ seufzte Lubjanzew. – „Man muß vernünftig sein und sich nur das wünschen, was möglich ist.“
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: sagt
Anton Pawlowitsch Tschechow: Von Frauen und Kindern. Musarion, München 1920, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Von_Frauen_und_Kindern_(Tschechow).djvu/112&oldid=- (Version vom 31.7.2018)