Der Verurteilte kann nur den Kopf bewegen. – Er sieht die weiß getünchten Kerkerwände vor sich. – Undurchdringlich. – Morgen früh um sieben Uhr werden sie ihn holen. – Noch achzehn Stunden bis dahin. – Und sieben Stunden, dann kommt die Nacht. – – – Bald wird Winter sein, und das Frühjahr kommt und der heiße Sommer. – Dann wird er aufstehen – früh – schon in der Dämmerung, und auf die Straße gehen, den alten Milchkarren ansehen und den Hund davor … Die Freiheit –! Er kann ja tun was er will. –
Da schnürt es ihm wieder die Kehle. – wenn er sich nur bewegen könnte. – Verflucht, verflucht, verflucht – und mit den Fäusten an die Mauern schlagen. – Hinaus! – – – Alles zerbrechen und in die Riemen beißen. – Er will jetzt nicht sterben – will nicht – will nicht! – Damals hätten sie ihn hängen dürfen, als er ihn ermordet hat, – den alten Mann, – der schon mit einem Fuß im Grabe stand. – – – Jetzt hätte er es doch nicht mehr getan! – – – Der Verteidiger hat das nicht erwähnt. – Warum hat er es den Geschworenen nicht selbst zugerufen?! – Sie hätten dann anders geurteilt. – Er muß es jetzt noch dem Präsidenten sagen. – Der Aufseher soll ihn vorführen. – Jetzt gleich. – – – – – Morgen früh ist’s zu spät, da hat der Präsident die Uniform an, und er kann nicht so dicht an ihn heran. – Und der Präsident würde ihn nicht anhören. – Dann ist’s zu spät, man kann die vielen Polizeileute nicht mehr wegschicken. – Das tut der Präsident nicht. – – –
Der Henker legt ihm die Schlinge über den Kopf, – er hat braune Augen und sieht ihm immer scharf auf den Mund. – Sie reißen an, alles dreht sich – halt, halt – er will noch etwas sagen, etwas Wichtiges. – – –
Ob der Aufseher kommen wird und ihn heute noch losbinden von der Bank? – Er kann doch nicht so liegen bleiben die ganzen achzehn Stunden. – Natürlich nicht, der
Gustav Meyrink: Orchideen. München o. J., Seite. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Orchideen_Meyrink.djvu/044&oldid=- (Version vom 31.7.2018)