Radschendralalamitra, – als solcher durch die dünne Baumwollschnur kenntlich, die ihm über die linke Brusthälfte hing. –
An Drähten von der Saaldecke herab waren in Mannshöhe gläserne, chemische Kochkolben befestigt, in denen sich Spuren eines weißlichen Pulvers befanden. – Leicht explodierbare Stoffe, – vermutlich Jodide, wie der Dolmetsch angab.
Unter lautloser Stille des Auditoriums näherte sich der Gosain einem solchen Kochkolben, band eine dünne Goldkette um den Hals des Glases und knüpfte die Enden dem Brahmanen um die Schläfen. – Dann trat er hinter ihn, erhob beide Arme und murmelte die Mantrams – Beschwörungsformeln – seiner Sekte. –
Die beiden asketischen Gestalten standen wie Statuen – mit jener Regungslosigkeit, die man nur an arischen Asiaten sieht, wenn sie sich ihren religiösen Meditationen hingeben. –
Die schwarzen Augen des Brahmanen starrten auf den Kolben. Die Menge war wie gebannt. –
Viele mußten die Lider schließen oder wegsehen, um nicht ohnmächtig zu werden. – Der Anblick solcher versteinerter Gestalten wirkt wie hypnotisierend, und mancher fragte flüsternd seinen Nebenmann, ob es ihm nicht auch scheine, daß das Gesicht des Brahmanen manchmal wie in Nebel getaucht sei. –
Dieser Eindruck wurde aber nur durch den Anblick des heiligen Tilakzeichens auf der dunklen Haut des Inders erweckt, – ein großes weißes U, welches jeder Gläubige als Symbol Vishnus des Erhalters auf Stirne, Brust und Armen trägt.
Plötzlich blitzte ein Funken in dem Glaskolben auf, der das Pulver zur Explosion brachte. – Einen Augenblick Rauch, dann erschien in der Flasche eine indische Landschaft von unbeschreiblicher Schönheit: – Der Brahmane hatte seine Gedanken projiziert! –
Gustav Meyrink: Orchideen. München o. J., Seite. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Orchideen_Meyrink.djvu/010&oldid=- (Version vom 31.7.2018)