Gerade als ich fertig geworden war, setzte die Orgel ein. Breite, qualmende Töne, die zäh und schwer wie flüssiges Blei an den Wänden niederströmten. Ein weiches Gefühl mystischer Verträumtheit hüllte mich ein und durchtränkte mich förmlich, es floß durch meine Adern und strömte zum Gehirn und von da in alle Nerven bis in ihre feinsten Endigungen. Die engen Wände rückten auseinander, das Schiff der Kirche verlängerte sich ins Endlose, fern in einem schwimmenden Glanz, von steigenden Nebeln umgeben, leuchtete der Hochaltar. Das Bild der Madonna löste sich aus seinem Rahmen und schwebte, einen langen Lichtstreif nach sich ziehend, lächelnd auf mich zu. Seltsame, langgezogene Laute schlugen an mein Ohr, wie weiche Hände legte sich’s um Kopf und Nacken.
Ich sank in die Knie und ließ mein Haupt tief, tief auf meine Brust niedersinken. Dann hob ich es langsam empor und beugte es in den Nacken zurück, so daß einige Tropfen aus meinem noch feuchten Haar meinen Rücken hinunter rannen. Die Unterarme nach oben gebogen, breitete ich meine Handflächen aus, wie Christus auf den Bildern der italienischen Schule. Ich sah keine Wölbung, nur ein Blau von intensiver Helle und endloser Unergründlichkeit.
Arnold Hagenauer: Muspilli. Leipzig 1900, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Muspilli_hagenauer.djvu/130&oldid=- (Version vom 31.7.2018)