zu Pferde besuchten wir die Gegend ringsum. Noch gab es hier weltabgeschiedene Täler, mit lindenumgrünten Bauernhöfen, und steile Höhen, mit Burgen gekrönt, von den Sprossen alter Geschlechter bewohnt; fast überall aber dröhnten die Eisenhämmer, kreischten die Sägen und klapperten die Mühlen; und wer die Geister der Vergangenheit suchen wollte, der mochte sie wohl nur noch tief in den Felsenhöhlen der Berge finden. Viele Stätten erinnerten durch Namen und Sage an die Götter der Alten, an Wodan und Donar, an die Kämpfe der Römer gegen das mächtige Volk der Sachsen, an Wittekinds vergebliches Ringen mit dem gewaltigen Karl und seine Unterwerfung unter Kreuz und Krone, – aber schon lauerte das gefräßige Ungeheuer, die neue Zeit, um sie alle zu verschlingen. Sieghaft stieg der Fabrikschornstein empor, wo der Burgturm langsam zusammenstürzte. Ich floh seinen Anblick und wäre so gern auf den ausgebreiteten schillernden Flügeln der Phantasie vor mir selbst entflohen ins sonnendurchglühte Märchenreich, aber die Wirklichkeit fing mich immer wieder mit ihren grauen, dichten Spinnenfäden.
Mein Vater schrieb mir fast täglich, und selten nur blieb Syburgs Name unerwähnt in seinen Briefen. „Ich sah ihn auf dem letzten Rennen in Hamm,“ hieß es zuletzt, „er frug voll aufrichtiger Teilnahme nach Deinem Befinden und freute sich Deines Wohlergehens. Er hofft Dich in Brake bei Bodenbergs zu sehen; Limburgs werden des alten Herrn siebenzigjährigen Geburtstag doch sicher mitfeiern helfen.“
Daß er sich so gewaltsam in mein Leben hineindrängte und die Erwägungen der Vernunft, die Gefühle
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/393&oldid=- (Version vom 31.7.2018)