ferne den Beamten sagen hören; „die Leute erzählen sich noch immer, daß die Nonnen nächtlicherweile hier umgehen und klagend an den Wänden kratzen, weil ihnen der Weg versperrt wurde.“
Unten im Garten trafen wir uns wieder. Das Wahrzeichen Münsters – die Linde – schmückte auch ihn, aber jetzt, da sie kahl war, verstärkte sie nur den Eindruck lebloser Stille, den die Mauern ringsum hervorriefen: die der Kürassierkaserne auf der einen, die des Proviantmagazins, in das ein Flügel des Klosters umgewandelt worden war, auf der anderen Seite.
„Hier war der Kirchhof des Klosters,“ sagte unser Führer. „Als vor ein paar Jahren Exzellenz Melchior durch das Tor dort hereinfuhr, senkte sich der Boden, und die Räder wühlten vermorschte Särge auf.“ – „Eine gemütliche Dienstwohnung, – das muß ich sagen,“ versuchte mein Vater zu scherzen. Ich fühlte, daß es auch ihm schwer wie ein Alb auf der Seele lag. „Mir gefällt sie ausnehmend,“ sagte meine Mutter lächelnd, „die armen Toten schrecken mich nicht, und die Wohnung ist prachtvoll.“
Die Handwerker brachten von nun an Lärm und Leben hinein. Wir blieben noch ein paar Wochen im Hotel, und ich benutzte die Zeit, um in allen Gassen und Kirchen umherzustreichen. Nie hatte ich solch eine Stadt gesehen: in Augsburg, in Nürnberg hatte die neue Zeit unter der Führung der rücksichtslosen Eroberer Industrie und Technik die alte mehr und mehr zurückgedrängt, überflutet, vernichtet, – hier stand das Leben still, kein Fabrikschlot erhob sich mit all seiner barbarischen Protzenhaftigkeit neben den Kirchentürmen; hinter hohen Eisengittern,
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/357&oldid=- (Version vom 31.7.2018)