Stimme hinter mir, und sein Mund brannte auf meinem Nacken.
„Schöne Nacht – o Liebesnacht – o stille mein Verlangen!“ tönte es von der Bühne dicht vor uns; ausgestreckt auf Decken und Fellen lag die schöne Guiletta vor ihren Anbetern; ihre nackten Arme und ihre bloßen Schultern leuchteten im Glanz der roten Ampeln. Das Blut strömte mir zum Herzen, meine Hand suchte die des Geliebten. Von einer Melodie durchwogt, wie sie aufreizender, sinnbetörender nicht zum zweitenmal vorkommt, wurde die Luft immer schwüler um uns. Kaum daß wir uns im hellen Licht des Zwischenaktes genug zu ermannen vermochten, um konventionelle Phrasen mit dem Intendanten zu wechseln. Hellmuts Uniform verriet seine Anwesenheit auch im Halbdunkel der Loge, Lorgnetten und Operngläser richteten sich auf uns, und tuschelnd neigten sich die Köpfe zueinander.
Aber schon setzte das Orchester zum letzten Akte ein. „Sie entfloh – die Taube so minnig“ sang der blassen Antonia weiche Stimme. Seltsam – kein Zweifel – sie sah mir ähnlich: der gelbliche Ton der Haut, die dunkeln Locken. Mich fröstelte. O – und als dann der gespenstische Arzt erschien mit der hageren Gestalt, dem glatten Totenschädel und den klirrenden Flaschen in den Händen – – „Mir ist nicht ganz wohl!“ flüsterte ich und stand leise auf. Hellmut begleitete mich. Er hielt meinen vorzeitigen Aufbruch nur für einen Vorwand. Während er mir den Mantel um die Schultern legte, flüsterte er mir zu: „Ich war bei Mama – ein bißchen Tränen hats ihr gekostet –, aber schließlich fand sie sich ins Unabänderliche. Wir dürfen hoffen, Liebling! –
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/293&oldid=- (Version vom 31.7.2018)