Vormittag nicht hatte abkommen können, und eine himmelblaue Uniform neben ihm auftauchte.
„Ich bringe Se. Durchlaucht den Prinzen Hellmut gleich mit, der uns heute seinen Besuch hat machen wollen,“ sagte Papa. Alle waren aufgesprungen und verstummt. Jeder Prinz, selbst der kleinste, ruft in jedem, selbst dem vornehmsten Kreis, eine Verlegenheitspause hervor. Hellmut verbeugte sich und trat dann rasch zu mir, die ich mich allein von meinem Rasenplatz nicht gerührt hatte. „Diesen Tag habe ich mir zu meiner Antrittsvisite ausgesucht, um Ihnen als alter Freund meine ergebensten Glückwünsche zu Füßen zu legen.“ Bei der förmlichen Anrede sah ich erstaunt zu ihm auf.
„Ich danke Ihnen, Durchlaucht, daß Sie sich meiner erinnern,“ antwortete ich mit kaum verhülltem Spott.
Als wir nachher ziemlich isoliert beieinander saßen, – die anderen hielten sich trotz all ihrer Neugierde in respektvoller Entfernung –, erklärte er mir sein Verhalten. Mein Vater hatte ihn gebeten, von dem „Du“ unserer Kindheit Abstand zu nehmen, „Sie kennen die Klatschmäuler kleiner Residenzen zu gut, um meinen Wunsch mißzuverstehen,“ hatte er hinzugefügt. Er war ein schlechter Psychologe, der gute Papa! Er hätte wissen müssen, daß dieses Verbot unseren Beziehungen die Harmlosigkeit nahm und ihnen den Stempel der Heimlichkeit aufdrückte. Wir kehrten ohne Verabredung zum Du zurück, sobald wir allein waren, und redeten uns vor anderen, belustigt über die Komödie, die wir den Dummen vorspielten, „Durchlaucht“ und „gnädigstes Fräulein“ an.
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/278&oldid=- (Version vom 31.7.2018)