damals noch ausgesprochenen Geringschätzung jeden Berufs, der außerhalb der Laufbahn des Gutsbesitzers, des Offiziers oder des höheren Staats- und Hofbeamten lag, so setzte sie sich hier, getreu den Traditionen, aus dem alten und dem neuen Patriziertum zusammen, das mit wenigen Ausnahmen nach wie vor bürgerlichen Berufssphären angehörte. Zur Zeit, da die Ahnherren der preußischen Junker wider Heiden und Türken kämpften, handelte der Stammvater der Fugger mit Leinwand, segelten die Kauffahrteischiffe der Welser nach Westindien, saßen die ersten Stettens in der Goldschmiedzunft. Ihre Nachkommen betrachteten die Fröhlich und Forster und Schätzler – Industriebarone des neunzehnten Jahrhunderts – als zu sich gehörig, während der Offizier als solcher ebensowenig eine gesellschaftliche Stellung besaß wie der Landsknecht des Mittelalters.
So groß wie der Gegensatz der Herkunft war der der wirtschaftlichen Interessen, die in meinem bisherigen Lebenskreise wesentlich agrarische gewesen waren und hier ausschließlich großindustrielle. Die verschiedenartige politische Stellung folgte daraus: die gute Gesellschaft Augsburgs war nationalliberal, und lehnte mit der politischen auch die kirchliche Orthodoxie ab. Ein lebhafteres Interesse für Kunst und Wissenschaft ging damit Hand in Hand, und wurde von der Allgemeinen Zeitung und den Männern, die durch sie nach Augsburg kamen, stets rege erhalten. Unterhielt man sich in den Schlössern Ostpreußens von Literatur und Theater, so geschah es nur unter dem Gesichtswinkel des größeren oder geringeren Amüsements; in Augsburg gehörte es zum guten Ton, Neues zu
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/168&oldid=- (Version vom 31.7.2018)