umgeben, ohne eine einzige Blume dazwischen. „Wie beim Begräbnis,“ dachte ich noch einmal. Ich hörte nicht, was der Pfarrer sprach; mir war plötzlich, als stünde ich dicht vor dem Felsentor des Höllentals, und der brausende Bach drohte, mich zu verschlingen. Mein Strauß entfiel mir; der ihn aufhob, war mein Lehrer; ich begegnete seinen Augen dabei, – seltsam, wie er mich ansah! Verwirrt blickte ich um mich; meine Mitschülerinnen sprachen schon das Apostolikum, und ein strenger Blick des Pfarrers mahnte mich an meine Pflicht. Einem aufgezogenen Uhrwerk gleich, sagte ich, ohne zu stocken, die drei Artikel auf. Und währenddessen fühlte ich die vielen hundert Augen auf mich gerichtet, – gespannt, höhnend, triumphierend. Darnach war es einen Atemzug lang totenstill, ehe der Pfarrer von jeder einzelnen das persönliche Bekenntnis zu den gesprochenen Worten abnahm und den Segen erteilte. Ich war die letzte. Er erhob die Stimme bedeutungsvoll, als er sich mir zuwandte. Sage nein – sage nein – klang es in mir. Angstvoll, hilfesuchend sah ich um mich: auf das gütige, verzeihende Lächeln meines Vaters fiel mein Blick, auf den leisen liebevollen Gruß meiner Mutter – – –
„Bekennst du dich von ganzem Herzen zu unserm allerheiligsten Glauben, so antworte: Ja.“ – – –
Irgendwo fiel ein Schirm – ein Säbel rasselte – jemand schluchzte auf, – und die vielen, vielen Augen durchstachen mich.
„Ja!“ klang es laut und rauh durch die Kirche. War das wirklich meine Stimme gewesen?! Mechanisch kniete ich nieder, wie die andern. Ob wohl die Schleppe
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/144&oldid=- (Version vom 31.7.2018)