und Frauen schließen können, welch ernster Gefahr Alix entgegen geht. Das vielleicht durch eine größere geistige Begabung irre geleitete Kind hat viel von jener echten jungfräulichen Demut und Bescheidenheit, die der Schmuck jeder christlichen Familie ist, verloren, und ihre junge Seele dem Teufel des Hochmuts zu überliefern schon begonnen. Ich hätte mich aber trotzdem in Ihre Entschlüsse und die Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin noch nicht einzumischen gewagt, wenn mir nicht kürzlich eine Mitteilung gemacht worden wäre, deren Richtigkeit ich nicht anzweifeln kann. Darnach hat Ihre Tochter einem jungen, noch ganz unverdorbenem Mann gegenüber erklärt, daß der Opfertod unsers Herrn und Heilandes ihr nicht anbetungswürdig erscheine; jeder Mensch würde freudig zu sterben bereit sein, wenn er wüßte, daß er dadurch die Menschheit erlösen könne. Für einen Gottessohn, der seiner ewigen Seligkeit gewiß sei, wäre dies also keine bewundernswürdige Tat. Sie fügte noch hinzu, daß Unzählige aus weit geringeren Ursachen ruhig in den Tod gegangen wären.
Es ist mir, Gott sei Lob und Dank, mit des Herrn gnädiger Hilfe gelungen, den jungen in seiner christlichen Überzeugung durch Ihre Tochter erschütterten Mann auf den Weg des Glaubens zurückzuführen; nunmehr aber habe ich die Pflicht, Sie, hochverehrter Herr Oberst, inständig zu bitten, Ihr irregeleitetes Kind dem Einfluß eines Seelsorgers anzuvertrauen, der diese Menschenblume in das Licht des Gotteswortes rückt, und sie von all dem bösen Ungeziefer befreit, das an ihr nagt.
Ich würde mich glücklich schätzen, wenn ich in persönlicher
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/126&oldid=- (Version vom 31.7.2018)