ich sogar selbst Geld verdienen. Du hast einmal gesagt, daß viele arme Kinder für Geld arbeiten müssen. Ich tanze doch so gut — Herr Ebel hat mich doch selbst unterrichtet — der nimmt mich gewiß zum Theater.“
„Du kleiner Hitzkopf du – was für törichte Gedanken du dir machst,“ unterbrach mich Großmama. „Komm, laß uns ruhig miteinander reden,“ damit ließ sie sich in dem tiefen Stuhl nieder, dessen Bezug noch Spuren meiner Tränen zeigte, und ich kauerte mich ihr zu Füßen, wie in jenen glücklichen Stunden, wo ich ihren Märchen lauschte. Lange und liebreich sprach sie auf mich ein: daß ich mir die Dinge nicht so schwarz ausmalen solle, daß wir zwar nicht mehr reich, aber auch nicht arm seien, daß ich viel helfen könne, wenn ich meiner Mutter das Leben erleichterte, wenn ich überflüssige Wünsche unterdrücke und tüchtig lerne, damit ich einmal, falls es nötig sein sollte, auf eignen Füßen zu stehen vermöchte. Meine heroische Opferwilligkeit wurde nicht wenig herabgestimmt. Gar kläglich kam mir vor, was Großmama mir als eine Aufgabe ans Herz legte. „Und – das kleine Kind?“ wagte ich noch einmal schüchtern zu bemerken. Die feinen Adern auf Großmamas Schläfen schwollen. „Versprich mir, daß du niemandem sagst, was du von ihm gehört hast,“ sagte sie, mir ernst und fest ins Auge blickend. „Ich verspreche es.“ hauchte ich.
Großmama küßte mir beide Wangen. „So, nun komm! Ich bring dich in dein Bettchen, und morgen ist das alles nichts als ein Traum für dich.“ Still und in mich gekehrt folgte ich ihr.
Als sie aber die Decke an den Bettpfosten befestigt
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/075&oldid=- (Version vom 31.7.2018)