mit einem silbernen Ziegenbock davor das schönste war.
Daheim schüttete ich meine Schätze vor den Eltern aus, aber sie teilten meine Freude nicht; Papa räusperte sich heftig, und Mama kniff die Lippen zusammen. Und dann kams, das viel gefürchtete Ungewitter: sie warfen einander gegenseitig vor, daß sie mich zu der „protzigen Judensippschaft“ gelassen hatten, die sich „erlaubte, dem Kinde solche Geschenke zu machen“. Schluchzend kroch ich in mein Bett. Ich durfte nie wieder hinüber. In der Schule ging ich Edith, die vergebens auf eine Gegeneinladung wartete und von den gekränkten Eltern nun wohl auch ihre bestimmten Instruktionen bekommen hatte, scheu aus dem Wege. Im sonntäglichen Familienkreis bei Großmama kam noch einmal die Rede auf die Geschichte. Tante Jettchen, ihre Schwägerin, der gefürchtete Kleinkinderschreck und Sittenwächter, geriet heftig aneinander mit ihr und erklärte schließlich kategorisch: „Juden sind kein Umgang für Mädchen, die eine Position in der Gesellschaft haben.“ Manch einer lächelte verstohlen zu diesem Ausspruch, wußte man doch, daß sie um so empfindlicher war, was diesen Punkt betraf, als sie es nie verwinden konnte, daß Baron Wolkenstein ihr Schwiegersohn geworden war. Sein Ahnherr war Hofjude bei Friedrich dem Großen gewesen, und dieser hatte ihn mit der Bemerkung geadelt: „Machen wir den Kerl zum Baron, ein Edelmann wird doch nie draus.“ Selbst in der vierten Generation hatte das Taufwasser die Erinnerung an den Familienstammbaum nicht zu verwischen vermocht.
Es war eine Ironie des Schicksals, daß mir als Ersatz
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/066&oldid=- (Version vom 31.7.2018)