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Seite:De Kinder und Hausmärchen Grimm 1819 V1 392.jpg

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76.


Die Nelke.


Es war eine Königin, die hatte unser Herr Gott verschlossen, daß sie keine Kinder gebar. Da ging sie alle Morgen in den Garten und bat zu Gott im Himmel, er möchte ihr einen Sohn oder eine Tochter bescheeren. Da kam ein Engel vom Himmel und sprach: „gib dich zufrieden, du sollst einen Sohn haben mit wünschlichen Gedanken, denn was er sich wünscht auf der Welt, das wird er haben.“ Sie ging zum König und sagte ihm die fröhliche Botschaft, und als die Zeit herum war, gebar sie einen Sohn, und der König war in großer Freude.

Nun ging sie alle Morgen mit dem Kind in den Thiergarten und wusch sich da und es geschah einmals, als das Kind schon ein wenig älter war, daß es ihr auf dem Schooß lag und sie entschlief. Da kam der alte Koch, der wußte, daß das Kind wünschliche Gedanken hatte und raubte es, und nahm ein Huhn und zerriß es, und tropfte ihr das Blut auf die Schürze und das Kleid. Dann trug er das Kind fort an einen verborgenen Ort, wo es eine Amme tränken mußte, und lief zum König und klagte die Königin an, sie habe ihr Kind von den wilden Thieren rauben lassen. Und als der König das Blut an der Schürze sah, glaubte er es, und gerieth in einen solchen Zorn, daß er einen tiefen Thurm bauen ließ, in den weder Sonne noch Mond schien, und seine Gemahlin hinein setzen, und vermauern; da sollte sie sieben Jahre sitzen, ohne Essen und Trinken und sollte verschmachten.

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1819). Berlin: G. Reimer, 1819, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_Grimm_1819_V1_392.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)