„Sie wohnen in Wedel, Fräulein?“ rief er, als sei das die merkwürdigste Sache der Welt.
„Ja,“ machte sie verwundert.
„Und sehen jeden Tag dem steinernen Roland in die vorgequollenen Augen?“
„Ach, den seh ich längst nicht mehr an!“ Dann nach einer Pause: „Aber Sie sind doch nicht aus Wedel?“
„Nein, nein!“ wehrte er lebhaft. „Es muß ja wohl ein schauderhaftes Nest sein?“
„O ja!“ seufzte sie. „Aber dann haben wir Hamburg so nahe.“ Der Zug hielt in Altona, der Wagen hatte sich halb geleert. „Ich muß nachsehen, ob Tante nicht doch mitgekommen ist,“ machte sie, aufstehend; sie deutete auf ihre Pakete: „Kann ich das hier lassen?“
„Gewiß, Fräulein!“ Er legte schützend die Hand auf die Sachen; dann wollte er ihr beim Aussteigen helfen, aber sie war schon hinausgesprungen. Es läutete zum zweitenmal, als sie allein zurückkehrte; er guckte aus der Coupéthür und rief ihr schon von weitem zu: „Hierher, Fräulein!“ Beim Einsteigen dann bediente sie sich seiner Hand, die er eifrig hinausstreckte. „Nicht gefunden?“
„Nein, Tante ist sicher in Hamburg zurückgeblieben.“
„Aber das ist doch nicht tragisch, eine Tante kann immer für sich selbst sorgen!“
Ilse Frapan: Flügel auf!. Paetel, Berlin 1895, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Fl%C3%BCgel_auf_Frapan_Ilse.djvu/358&oldid=- (Version vom 31.7.2018)