selbst in die hintersten Winkel ein moderner Hauch zu dringen. Ich kann nämlich nicht annehmen, daß Du aus Erfahrung viel über die sogenannte Liebe weißt. Oder irre ich mich? Mir scheinen die meisten dieser Verhältnisse ganz einfach symbiotische Zustände zu sein, wie sie ja schon auf der niedersten Stufe von Organismen vorkommen. Und davon so viel Wesens zu machen! es ist merkwürdig. Ich habe schon viel darüber nachgedacht, auch praktisch experimentirt, jedoch mit geringem Erfolg.
Das also ist Dein Geheimniß? Studiren willst Du? Nun ja, warum nicht? Ich begreife nur die Geheimthuerei nicht. Das ist ja der vernünftigste Entschluß, den ein Markwortsches Familienglied weiblichen Geschlechts seit Menschengedenken gefaßt hat. Ich sagte Dir’s ja, die Lisbeth ist’n vernünftiger Kerl, die hat doch endlich mal ihre Portion Grütze im Kopf. Nur hast Du Dir einen verzweifelt langen Weg ausgesonnen. Darüber wirst Du ja alt und grau, eh Du ans Studium kommst. Zeitverschwendung! Soll ich mal Deinem Alten schreiben? Was willst Du Deinen Cortex (Cortex gleich Hirnrinde, weißt Du, nach neuesten physiologischen Forschungen Sitz der geistigen Funktionen) mit so viel ödem Kram belasten, den Du später gar nicht brauchst? Willst wohl Medizin studiren, wie alle praktischen Studentinnen? Ja, Kind, das Lernen wird Dir gut thun, aber noch besser wird Dir
Ilse Frapan: Flügel auf!. Paetel, Berlin 1895, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Fl%C3%BCgel_auf_Frapan_Ilse.djvu/331&oldid=- (Version vom 19.8.2019)