war ihr mit seiner Hand über den schmalen Gartentisch hinüber nach dem Halse gefahren. Hatte sich Annita erschrocken! Und Adelheid nicht minder, die neben ihr saß.
„Igitt, Adolf, was fällt Dir denn ein, da ist ja gar kein Kleid mehr!“ hatte Adelheid gerufen, und das war gewißlich war, denn das bläuliche Sommermousseline hatte ja einen herzförmigen Auschnitt, aus dem Annitas rundes braunes Hälschen wie ein dunkler Blumenstengel hervorwuchs.
Frau Severin war gerade an der Laube vorübergekommen und hatte Annita herausgewinkt.
„Komm, Kind, ich hab’ en ganze gute Spitze oben, Du bist wirklich schon en büschen zu groß, und das Kleid is gräßlich nackend, – nee, ärger’ Dich man nich, das is was Furchtbares mit den Jungens, sie sehn so was gleich und halten sich darüber auf. Hott, wenn sie das noch sagen, is immer noch besser, als daß sie sich im stillen mokieren. Der Adolf is je das reinste Gör, bloß ’n büschen tapfig.“
Aber Annita hatte wenig auf das Zureden der guten Frau geachtet und zornige Thränen vergossen; warum, wußte sie selbst nicht recht, – ja doch, – sie besann sich – hauptsächlich, daß er so klein und dick war, ärgerte sie schrecklich.
Und als sie vor dem Spiegel den weißen pastorenhaften Kragen sah, den Mama Severin ihr umgebunden hatte und der sie ganz mulattenhaft schwarz
Ilse Frapan: Flügel auf!. Paetel, Berlin 1895, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Fl%C3%BCgel_auf_Frapan_Ilse.djvu/219&oldid=- (Version vom 31.7.2018)