Dachbalken hingen so tief, daß sie den Kopf bücken mußte. In dieser Haltung mit den vorgestreckten Händen schien ihm etwas traurig Resignirtes zu liegen. ‚Wenn es nur keine Auseinandersetzung gibt! Macht sie mir Vorwürfe, so lauf’ ich fort‘, sagte er sich. Er war seit dem Erlebniß mit Toni’s Mutter ganz empfindlich und scheu geworden. Hastig wandte er alle Aufmerksamkeit auf die Bilder und Skizzen an den Wänden.
„Viel Neues hinzugekommen?“
„Nicht eben viel. Das Stillleben da hab’ ich ausgeführt und verkauft.“
Er blickte sie rasch an, sie sprach das Wort „verkauft“ mit einer so lebhaften Betonung.
„Und da ist das Beste, was ich diesen Sommer gemacht habe.“
Sie zeigte nach einer Oelskizze; es war das verlorene Profil und der volle feste Nacken eines rothhaarigen Mädchens, es schien geradezu weißes Licht von dem frischen Fleisch auszugehen.
„Schade, daß es nicht fertig ist.“ Hausdörffer war ganz gepackt.
Die Malerin zuckte die Achseln. „Darum ging ich überhaupt nach diesem dummen Gauting,“ sagte sie zornig, „das heißt, das war mein künstlerischer Antrieb. Ein sehr schönes Modell, – sie war unser Zimmermädchen dort, ich sah ihr einmal zu, wie sie sich bei offenem Fenster wusch.“
Ilse Frapan: Flügel auf!. Paetel, Berlin 1895, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Fl%C3%BCgel_auf_Frapan_Ilse.djvu/181&oldid=- (Version vom 19.8.2019)