„Wenn ich Ihnen meine Karte geben darf, gnädige Frau? – ich fürchte, Sie halten mich immer noch für einen reisenden Handwerksburschen,“ sagte Hausdörffer verwirrt.
Die Dame nahm die Karte, während sie endlich ihre Leuchte auf den Tisch stellte. Mit der linken Hand griff sie halb mechanisch nach dem Pinscher, faßte ihn am langen Nackenbehang und setzte ihn sich auf den Arm, doch bellte er auch noch von dieser Stelle auf den Gast ein. Hausdörffer sah, daß die feingliedrige Hand mit den schmalen Fingern leicht zitterte, als sie die Karte hielt.
„Ich fürchte, ich habe Sie sehr erschreckt; vielleicht haben Sie nur die Güte, mir ein andres Haus zu bezeichnen, wo ich mich nach dem Wege erkundigen könnte –“ er suchte mit den Augen nach seinem Hut.
Die Dame hob den Kopf: „Bitte, nehmen Sie Platz, ich war nur so im ersten Augenblick – war denn die Thür offen? Ich hatte doch Gretel gefragt – –“
„Ja, offen. Nein, wissen Sie, gnädige Frau, die Gretel ist unzuverlässig.“
Sie blickte ihn von der Seite an, als wollte sie sagen: was wissen Sie denn davon? Dann nahm sie den Hut herunter, fuhr sich flüchtig über die „klassische Frisur“, wie Hausdörffer diese einfach gescheitelte, halb die Ohren versteckende Haartracht mit dem Knoten tief
Ilse Frapan: Flügel auf!. Paetel, Berlin 1895, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Fl%C3%BCgel_auf_Frapan_Ilse.djvu/112&oldid=- (Version vom 31.7.2018)