Freilich, der König hätte einen Machtspruch thun können, vor ihm streckte selbst die Etiquette die Waffen; aber der König wußte gar nichts von der Beleidigung, welche sein Liebling erfahren. Der König lag im Sterben – mein Gott, wie lang’ er im Sterben lag!
Da stand nun der junge Letorière ganz vereinsamt in dem Schloßgarten von Versailles und lächelte über die Kleinlichkeit der Menschen und die Tyrannei der Etiquette!
„C’est égal, elle m’a joué un mauvais tour, cette vieille pédante; à nous deux, ma bonne, wir wollen doch sehen, welcher von uns Beiden der Stärkere ist, Du oder ich!“
Er bückte sich ein wenig, um einen kleinen Kieselstein vom Boden aufzuheben, holte aus und übermüthig lächelnd zielte er seinen Wurf gerade auf die Brust einer der manierirten Dryaden. „Wenn mein Stein die stolze Dame auf das Herz trifft, welches sie wahrscheinlich nicht hat, so ist der Sieg mein!“ sagte er sich. Aber der Kiesel sauste an der steinernen Göttin vorüber und berührte sie nicht.
Ossip Schubin: Etiquette. Paetel, Berlin 1887, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Etiquette_Schubin_Ossip.djvu/23&oldid=- (Version vom 31.7.2018)