hochaufgerichtet vor uns, einen hochmütig-verächtlichen Zug um die Lippen.
Wir empfanden seitdem eine merkbare Umstimmung nicht nur bei ihr, sondern auch beim König, der die geheimen Unterhaltungen mit seiner Gemahlin mehr als sonst zu suchen scheint und nie versäumt, sie zum Ministerrat zuzuziehen. Das Maß seiner Güte scheint endlich erschöpft.
„Die Neuerer wollen ein Frankreich, das englisch ist“, meinte er kürzlich erbittert, und bei Gelegenheit einer der letzten offiziellen Empfänge in Versailles erklärte er laut: „Die Idee, dauernde Generalstände zu schaffen, ist umstürzlerisch gegen die Monarchie. Wird sie verwirklicht, so existiert zwischen dem König und dem Volk als intermediäre Macht nur noch die Armee.“ Jeder erstaunte; es war das erste Mal, daß der König an die Gewalt erinnert hat.
Vor wenigen Tagen fand eine königliche Parlamentssitzung statt, in der sein Stimmungswechsel zu klarem Ausdruck kam. Sie wissen, daß ich der Politik bisher weiter aus dem Wege gegangen bin als den häßlichen Frauen. Wenn ich dieser Sitzung beiwohnte, so nur weil Schauspiele der Art, seitdem die Theater immer langweiliger, die Tänzerinnen immer älter werden, und selbst die Somnambulen, die uns so angenehm gruseln lehrten, anfangen, sich mit politischer Hellseherei abzugeben, die Öde des Lebens allein noch unterbrechen. Es war der Mühe wert.
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/443&oldid=- (Version vom 31.7.2018)