wurde, und man verbreitetete, er speie Blut, frugen die Witzbolde der Journale: seins oder das der Nation? Als er zum ersten Male das Haus verlassen durfte, fand er an seiner eigenen Tür folgenden Anschlag: „Die Schauspieler des Finanzministers werden zur Aufführung bringen: ›Überflüssige Vorsicht‹ und ›Trügerische Hoffnungen‹. Die Rolle des Souffleurs übernimmt er selbst.“ Im Theater zu Versailles wurde in Anwesenheit der Königin die Oper „Theodor“ von Paësiello aufgeführt. Als der Titelheld, ein verlassener König, seine Schmerzen klagte, rief eine Stimme im Parterre: „Berufen Sie doch die Notabeln!“ Schallendes Gelächter und endloses Bravorufen unterbrach die Aufführung. Man versuchte, die Unruhstifter zu verhaften, die Königin erhob Einspruch; das Publikum jedoch empfand ihre Güte nur als Schwäche, als ein Buhlen um seine Gunst, und laute Pfiffe folgten ihrem davoneilenden Wagen.
Wer es in den Journalen oder gar in den erregten Diskussionen versucht, die Reformen zu verteidigen, von deren Inhalt manches bekannt wurde, begegnet meist dem stärksten Unwillen. „Wir wollen keine Almosen, wir wollen Rechte,“ rief Gaillard vor ein paar Tagen solch einem geheimen Emissär der Regierung zu. „Der Mensch ist frei geboren und überall liegt er in Ketten. Die Reformen sind nichts als neue Mittel, ihn den
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 417. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/423&oldid=- (Version vom 31.7.2018)