wetteifert nur die Schamlosigkeit der weiblichen Besucher. In diese Gesellschaft mischten sich mit sichtlichem Vergnügen Damen und Herren des Hofes, als sie aus der Oper kamen, und ich muß zu ihrer Schande gestehen, daß im Ton und Benehmen zwischen ihnen und den anderen kaum ein Unterschied mehr zu bemerken war.
Ein schreckliches Ereignis, meine Liebe, verzögert meine Abreise: Der Kardinal, Prinz Louis Rohan, wurde gestern vor der Schloßkapelle von Versailles in vollem Ornate, angesichts aller versammelten Würdenträger des Hofes verhaftet!
Kaum war das Ungeheuerliche geschehen, als die ganze Familie Rohan, die Prinzen Soubise, Guéménée und Montpensier zugleich mit den Bischöfen und Kardinälen das Schloß verließen. Der König und die Königin fanden sich bei ihrem Erscheinen einem fast leeren Saal gegenüber. Marie Antoinette schien einer Ohnmacht nahe.
Was geschehen ist, weiß niemand genau. Man sagt, daß Rohan sich für die Königin habe opfern lassen. Und Cagliostro hatte ihm prophezeit: „An Ihren Namen wird Frankreichs Befreiung sich knüpfen“
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/382&oldid=- (Version vom 31.7.2018)