Prinzessin Chartres, die, während ihr Gemahl bei Madame Genlis die – Harfe spielen lernte, mit seinem schönen Adjutanten –
Duette sang, oder an die hübsche Condé, die in süßer Mädchenunschuld von irgend einem unsichtbaren Gott erobert wurde, und, – wahrscheinlich zur Belohnung ihrer Heiligkeit! – doch noch einen Prinzen königlichen Geblütes fand, der sie zum Altar, aber nie zum – Bett geleitete? Gehen Sie auf diesem Gedankengang nicht weiter, meine Schöne; er ist zwar fast endlos, aber er führt doch nicht zu meiner Dame.
Ich wollte Ihnen erzählen, was mir begegnete, in Ihren ausdrucksvollen Augen Neugier, Bewegung, Erschrecken lesen, kurz –, all die Empfindung, die Ihr Mund mir aus Diskretion verschweigen würde. Soll ich nun schweigen? Ich bin zu sehr Dichter, als daß ich es ertragen könnte, den spannenden Akt des Schauspiels, den ich sah, – der zweifellos weder der erste noch der letzte gewesen ist! – ganz für mich zu behalten. Hören Sie also:
Ich gehe, wie Sie wissen, nur des Nachts spazieren. Wenn die Körper sich ihrer Paruren entledigen, die rote Farbe von den gelben Wangen wischen, die Lockenperücke von dem kahlen Kopfe nehmen, die schönen reinen weißseidenen Strümpfe mit dem üppigen Wadenpolster von den schmutzigen, dürren, haarigen Beinen ziehen, dann entkleiden sich auch die Geister. Auch ihre
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/352&oldid=- (Version vom 31.7.2018)