Zürne mir nicht, angebetete Frau, daß ich Worte zu wiederholen wage, die ohne den Klang Deiner Stimme nur stumme Vögel sind!
Nur noch einen Gruß – einen letzten vor Ihrer Abreise nach dem Gebirge! Daß ich mich Jahre von Ihnen zu trennen vermochte, wo vierzehn Tage mir wie eine Ewigkeit schienen!
Ich folge Ihnen nach Barrêge-les-Bains, der Verabredung gemäß, sobald der Hof Versailles verlassen hat.
Als ich gestern von Ihnen ging, traf ich den Herrn Marquis. Im trüben Licht der Öllampe an der Tür erschien er mir sehr blaß. Er grüßte mich mit einem Lächeln, das mein Herz zittern machte. Ich bin darum die ganze Nacht vor Ihren Fenstern auf- und abgegangen. Aber nichts rührte sich und Ihr zärtliches Billett heute morgen beruhigte mich vollends.
Ich küsse Ihre weiße Stirn, damit kein Gedanke hinter ihr wach wird, der einem anderen gehört, als mir, und Ihre weichen Arme, daß sie in Fesseln liegen, bis ich sie löse, um sich um meinen Hals zu schlingen, und Ihre roten Lippen, daß kein Liebeswort ihnen entschlüpfen möge, bis die meinen den Zauber brechen!
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. Albert Langen, München 1912, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/329&oldid=- (Version vom 31.7.2018)